Strategischer Einkauf heute und in Zukunft

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Leica – das ist eine außergewöhnliche Story „made in Germany“. Nach der Fast-Pleite im Jahr 2009 hat sich der traditionsreiche Kamerahersteller als erfolgreiches und modernes Unternehmen eindrucksvoll zurückgemeldet. Einer aktuellen Untersuchung der Unternehmensberatung Ernst & Young zufolge zählt Leica mittlerweile zu den renommiertesten deutschen Luxus-Marken.

Eine Entwicklung, die ohne die Unterstützung der Operationsdisziplinen, wie beispielsweise der professionellen Einkaufsorganisation nicht stattgefunden hätte. Geführt von einer durchdachten Wachstumsstrategie wurde innerhalb von nur 15 Monaten das Einkaufsvolumen nahezu verdoppelt. In manchen Branchen mag diese Leistung nichts Besonderes sein. Die Schwierigkeiten eines solchen Vorhabens werden ansatzweise deutlich, wenn die Eigenheiten der optischen Industrie kombiniert mit kompromisslosen Qualitätsstandards und höchsten Ansprüchen an Haptik, Kosmetik und Präzision für die Leica steht, berücksichtigt werden. Unter dem Aspekt, dass die durchschnittliche Entwicklungsdauer bis ein Lieferant serienreif liefern kann, zwei Jahre und länger betragen kann, wird die Leistung des strategischen Einkaufs noch deutlicher.

Einkaufsmärkte im Blick

Aber gerade mittelständische Unternehmen können sich auf solchen Erfolgen nicht ausruhen. Zu schnelllebig ist das Marktumfeld, zu komplex die Produkte, die heutzutage in immer kürzeren Zyklen entwickelt werden. Global Sourcing zur Identifikation neuer Lieferquellen, systematisches Entwickeln von Lieferanten sowie ein proaktives Risikomanagement sind nur einige Ansätze, mit denen Leica den Einkauf für zukünftige Anforderungen gerüstet hat.

Strategischer Einkauf bei Leica muss stets die Märkte im Blick haben, sowohl beschaffungs- als auch vertriebsseitig. Denn besonders in der Fotoindustrie war in den letzten beiden Jahren viel Bewegung. Die Branche kämpfte mit teilweise dramatischen Umsatzeinbrüchen. Heute stehen digitale Kompaktkameras mehr denn je durch das Konkurrenzprodukt Smartphone unter Druck.

Das Einsteigersegment bis 200 Euro droht kurzfristig komplett wegzubrechen, da Kundinnen und Kunden hier kein nennenswerter Mehrwert geboten werden kann. Zwar ist Leica von dieser Marktentwicklung kaum betroffen, da das Unternehmen sich vorwiegend in einem anderen, noch wachsenden Marktsegment bewegt. Allerdings dürfen die Auswirkungen, die diese Entwicklungen unweigerlich auf die Beschaffungsseite haben, nicht ignoriert werden. Das reicht vom Angebot der verfügbaren Zukaufteile, z. B. Elektronikkomponenten oder Displays, die zukünftig nicht mehr ausschließlich für Kameraprodukte entwickelt werden, bis hin zu verfügbaren Bezugsquellen.

Gerade chinesische Massenfertiger wenden sich mehr und mehr von ihren alten Kundinnen und Kunden aus der Kamerabranche ab. Die schrumpfenden Stückzahlen sind für die mengenaffinen Asiaten nicht mehr interessant. Gefragt sind hochqualifizierte Kleinserienfertiger, die ein gehobenes Qualitätslevel zuverlässig erreichen. Das Zuliefernetzwerk von Leica ist aufgrund seines Geschäftsmodells seit jeher auf diese Besonderheit ausgerichtet. Daher gilt es, den einen, noch völlig unbekannten Lieferanten mit hohem Potenzial zu finden. Leica nutzt eine systematische globale Beschaffungsmarktforschung,um geeignete Beschaffungsmärkte permanent im Blick zu behalten.

Ein solcher Beschaffungsmarkt ist z. B. die iberische Halbinsel. Seit mehr als 40 Jahren hat das Unternehmen hier einen eigenen Produktionsstandort mit rund 700 hochqualifizierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern.

Hier ist der Zugang zu portugiesischen und spanischen Lieferanten relativ leicht. Dadurch schaffte es das Unternehmen, ein Zuliefernetzwerk zu etablieren, das beiden Produktionsstätten erlaubt, zu „atmen“ und somit schnell auf sich verändernde Marktanforderungen zu reagieren. In Hochphasen können so Bedarfe flexibel nach außen gegeben werden. Genauso wie der Standort Deutschland in konjunkturell schlechteren Phasen relativ schnell Aufträge wieder in der eigenen Fertigung platzieren kann.

Fokus Supply Chain

Auch die Einkaufsorganisation muss die eigene Funktion und Rolle im Unternehmen permanent hinterfragen und sich anpassen. Nachdem das Einkaufsteam von Leica nach überstandener Krise den „Survival Mode“, bei dem der klassische Kampf um den letzten Cent im Vordergrund stand, verlassen hatte, konnte das Unternehmen die Lieferanten systematisch entwickeln. Durch das regelmäßige Bewerten der Partner sowie das Abschließen von Entwicklungsvereinbarungen mit messbaren Zielen, baut Leica die Lieferantenperformance zunehmend aus.

Parallel dazu hat Leica die Risiken der Supply Chains im Blick: Lieferanten, deren Zulieferer sowie die wichtigsten Transportwege werden einem permanenten Monitoring unterzogen. Durch definierte Frühwarnindikatoren ist Leica zukünftig wesentlich früher in der Lage, Risiken zu erkennen und zu agieren. Die strategischen Einkäufer:innen können auf ein stimmiges Lieferantenportfolio zurückgreifen, das permanent „lebt“.

Vorteil: Crossfunktionale Projektteams

Die Zielsetzung von Leica beeinflusst zukünftig stark das Thema „time to market“: Erfolgreich ist nicht, wer das beste Produkt auf den Markt bringt, sondern wer das beste Produkt zur richtigen Zeit auf den Markt bringt. Abteilungsdenken hat in der Unternehmensorganisation keinen Platz mehr. Vielmehr findet ein Großteil des Arbeitsalltags in crossfunktionalen Projektteams statt.

Der Einkauf nimmt eine tragende Rolle ein, wenn es darum geht, das Know-how der Lieferanten stärker zu nutzen und in Projekte einzubringen. Nicht die Preisreduzierung, sondern der Wertbeitrag steht im Vordergrund, wobei Savings und Cost Avoidance weiterhin eine Rolle spielen. Der Fokus liegt darauf, die intellektuellen Ressourcen der Partner in frühen Projektphasen ins Unternehmen zu bringen. Denn bereits in der Innovations- und Konzeptphase eines Produktentstehungsprozesses wird ein Großteil der späteren Produktkosten festgelegt. Arbeiten hier die eigenen Ingenieure mit externen Spezialisten zusammen, können ungeahnte Potenziale erschlossen werden – Stichwort „design to manufacturing“. Daher ist der:die jeweilige Projekteinkäufer:in ab dem ersten Meeting im Projektteam. Er:Sie kennt die Lieferanten und kann diese gezielt in die Projektgespräche einbringen bzw. Lieferanten und Konstrukteure verbinden. Allerdings ist hier Vorsicht geboten. Denn nichts ist einer klugen Verkaufskraft lieber, als direkt mit den Technikerinnen und Technikern Absprachen zu treffen.

Die Problematik des späten Einbeziehens des Einkaufs (late involvement) ist sehr häufig in technikgetriebenen Unternehmen anzutreffen, aber auch in den Bereichen Marketing und Logistik.Rund 20 % der Verkaufskräfte versuchen gezielt den Einkauf zu umgehen und die Bedarfsträger direkt anzusprechen. Diese versprechen beste Qualität, neueste Technik sowie pünktliche Lieferung und bieten gerne Teilentwicklungsleistung an. Dem unter Zeitdruck stehenden Entwickler kommt das gerade Recht, jedoch mit möglichen gravierenden Folgen für das Projekt. Hier braucht es strikte Regeln und Kommunikationswege. Der:Die Einkäufer:in muss zukünftig noch mehr das Sprachrohr des Unternehmens nach außen sein und zumindest informiert sein, wenn Absprachen getroffen werden.

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Über den:die Autor:in

Ulrich Weigel

Vice COO und Bereichsleiter Einkauf bei einem namhaften deutschen Markenhersteller. Langjährige globale Führungserfahrung von Einkaufsorganisationen (Automotiv, Konsumgüter, Aircraft und Optik). Buchautor „Praxisguide Strategischer Einkauf“ (Springer-Gabler Verlag) und Lehrbeauftragter für Einkaufsmanagement und Global Sourcing.

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