Das Lieferkettengesetz: Was Unternehmen wissen müssen

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Im Februar verkündete die Bundesregierung einen neuen Gesetzesentwurf zur Überwachung sozialer Standards von Unternehmen und deren Zulieferern in Deutschland. Während Industrieverbände vor zu hohen Restriktionen warnen, geht das geplante Lieferkettengesetz für NGOs und Umweltschützer nicht weit genug. Die Hintergründe dieser Debatte sowie die Folgen für Supply-Chain- und Compliance-Verantwortliche haben wir für Sie in diesem Artikel zusammengefasst. Unter Berücksichtigung des Lieferkettengesetzes erhalten Sie Tipps für Ihre Umsetzung und langfristige Strategien im Lieferantenmanagement.

Inhaltsverzeichnis

  1. Das Lieferkettengesetz im Überblick
  2. Menschen und Umwelt schützen: Wie es zum deutschen Lieferkettengesetz kam
  3. So sollten betroffene Unternehmen auf das Lieferkettengesetz reagieren
  4. Wo fehlt es dem Lieferkettengesetz an Durchschlagskraft?
  5. Wann kommt ein Lieferkettengesetz für die gesamte EU

Das Lieferkettengesetz im Überblick

Das Lieferkettengesetz – oder „Gesetz über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten“, wie es gemäß dem Referentenentwurf des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales heißt – ist eine für viele Menschen langersehnte Einigung der deutschen Regierung, um Unternehmen und deren Lieferanten an soziale Mindeststandards rechtlich zu binden. Die Bundesregierung gab am 12. Februar die Einigung bekannt und plant eine gesetzliche Verabschiedung noch vor der Bundestagswahl im Herbst 2021.

Das Lieferkettengesetz soll ab 2023 für Unternehmen mit mehr als 3.000 Mitarbeiter:innen, und ein Jahr später für Unternehmen mit mehr als 1.000 Mitarbeiter:innen gelten. Ab 2024 wären somit nach aktuellem Stand 2.891 Unternehmen (ca. 0,1 Prozent aller Betriebe) in Deutschland von der Änderung betroffen. Das Gesetz verpflichtet Unternehmen, die Arbeitsbedingungen ihrer direkten Zulieferer sorgfältig zu prüfen, um Menschenrechtsverstöße frühzeitig zu erkennen, transparent zu melden und Abhilfe zu leisten. Das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle ist die zentrale Anlaufstelle und entscheidet bei Verstößen über die Höhe der Strafe. Unternehmen drohen Bußgelder von bis zu zwei Prozent des jährlichen Gesamtumsatzes sowie ein dreijähriger Ausschluss von öffentlichen Aufträgen – nicht aber eine zivilrechtliche Haftung.

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Menschen und Umwelt schützen: Wie es zum deutschen Lieferkettengesetz kam

Dass in einer globalisierten Wirtschaft einzelne Unternehmen als Teil einer langen Lieferkette gegen Menschenrechte und Umweltstandards verstoßen, wird seit einigen Jahren in der internationalen Politik thematisiert. Schon im Jahr 2011 veröffentlichten die Vereinten Nationen Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschrechte, die eine globale unternehmerische Verantwortung definieren. Darauf basierend traf das Bundesministerium für Arbeit und Soziales 2016 selbst konkrete Vorschläge in dem nationalen Aktionsplan Wirtschaft und Menschenrechte (NAP). Dieser sah vor, dass bis 2020 mindestens 50 Prozent der Unternehmen mit mehr als 500 Beschäftigen die dort definierte menschenrechtliche Sorgfaltspflicht einhalten – allerdings nur mit einer freiwilligen Selbstverpflichtung.

Deutlich strenger regelt Frankreich die Einhaltung der Menschenrechte entlang der Lieferkette bereits seit 2017. Das dortige Recht orientiert sich an ähnlichen Prinzipien wie das deutsche Lieferkettengesetz, gilt aber nur für Unternehmen mit mehr als 5.000 Beschäftigten in Frankreich (bzw. 10.000 Beschäftigte weltweit).

Übrigens: Das Lieferkettengesetz trifft in Deutschland auf eine breite Zustimmung: Laut einer repräsentativen Umfrage des Forschungsinstituts infratest dimap befürworten 75 Prozent der Bevölkerung eine stärkere rechtliche Kontrolle entlang der Lieferkette.

So sollten betroffene Unternehmen auf das Lieferkettengesetz reagieren

Im Vergleich zum französischen Lieferkettengesetzen erlaubt die deutsche Version ein starkes Durchgreifen der Behörden. Das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle muss nicht auf eine nachweisbare Menschenrechtsverletzung oder eine zivilrechtliche Klage einer NGO warten, um aktiv zu werden. Bereits der Nachweis einer Verletzung der Sorgfaltspflicht zwischen Auftraggeber und unmittelbarer Lieferant genügt, um Unternehmen zu bestrafen. Verantwortliche sind deshalb gut beraten, selbst proaktiv tätig zu werden.

Welche Maßnahmen müssen Unternehmen zusammen mit ihren direkten Zulieferern umsetzen, um nicht gegen das Lieferkettengesetz zu verstoßen?

  • Grundsatzerklärung zur Achtung der Menschenrechte unterzeichnen
  • Potenzielle Menschenrechtsverstöße identifizieren und Abhilfe sowie Präventionsmaßnahmen leisten
  • Dokumentations- und Berichtspflichten über die Arbeitsbedingungen erfüllen
  • Beschwerdemechanismus für Arbeitnehmer:innen einrichten
  • Transparent öffentlich Bericht erstatten

Die Grundlage für die Einhaltung der Sorgfaltspflicht ist eine Risikoanalyse, die sich nur auf direkte Zulieferer beschränkt. Besonders gefährliche Wertschöpfungsstufen, die etwa in der Rohstoffverarbeitung zumeist am Anfang einer Lieferkette stehen, sind vom Gesetz ausgeklammert.

Profiteur und gleichzeitig Betroffener der Sorgfaltspflicht ist der Einkauf, der künftig stärker als Bindeglied zu den Lieferanten auftreten und eine wichtigere Rolle im Unternehmen einnehmen wird. Nur mit der Hilfe des Einkaufs erhöhen Betriebe die eigene Lieferkettentransparenz, bekommen wichtige Einblicke für ihr Risikomanagement und positionieren Compliance und soziale Nachhaltigkeit bei den Zulieferern. Auch wenn bis 2023 (bzw. 2024) noch etwas Zeit ist, sollten sich Einkaufsabteilungen und Supply-Chain-Manager schon jetzt mit den Auswirkungen eines nationalen Lieferkettengesetzes beschäftigen.

Sorgfaltspflicht nicht eingehalten: Diese Strafen und Bußgelder drohen

Da der Gesetzesentwurf derzeit noch nicht offiziell verabschiedet ist, sind die konkreten Bußgeldsummen noch nicht festgelegt. Anfang März deutete eine neue Überarbeitung des Gesetzesentwurf an, dass Konzerne bei Verstößen Bußgelder von bis zu zwei Prozent des weltweit jährlichen Umsatzes zahlen müssen, sollte das Unternehmen mehr als 400 Millionen Euro pro Jahr umsetzen. Kleinere Betriebe könnten mit Geldbußen von bis zu 800.000 Euro, 500.000 Euro und 100.000 Euro – je nach Schwere der Ordnungswidrigkeit – rechnen. Darüber hinaus soll wohl der zumindest zeitweise Ausschluss öffentlicher Anträge bereits ab einem Bußgeld von 175.000 Euro eintreten.

Wo fehlt es dem Lieferkettengesetz an Durchschlagskraft?

Der aktuelle Entwurf des Lieferkettengesetzes verpflichtet Unternehmen nur zur Kontrolle der unmittelbaren Zulieferer – nicht aber der indirekten Lieferanten, die vor allem zu Beginn der Wertschöpfungskette Rohstoffe produzieren oder verarbeiten. Auch wenn die Sorgfaltspflicht nicht für mittelbare Zulieferer gilt, sollten Compliance-Verantwortliche sich dennoch über die dort vorherrschenden Arbeitsbedingungen informieren. Beschweren sich betroffene Mitarbeiter:innen anonym oder mithilfe einer NGO beim Auftraggeber und melden sogar Menschrechtsverstöße, können Unternehmen dank präventiver Maßnahmen schneller reagieren und weitere Schäden vermeiden.

Darüber hinaus fokussiert sich das Lieferkettengesetz bisher nicht explizit auf den Schutz der Umwelt. Umweltbeeinträchtigungen werden für die Sorgfaltspflicht nur relevant, wenn sie zugleich individuelle Menschenrechte beeinträchtigen, etwa beim Ausstoß giftiger Flüssigkeiten. Verantwortungsbewusste Unternehmen können auch hier einen Schritt weitergehen und sich in ihrer Risikoanalyse proaktiv mit dem Naturschutz entlang ihrer Lieferkette auseinandersetzen – nicht nur um sich umweltbewusster aufzustellen, sondern auch um auf zukünftige Gesetze besser vorbereitet zu sein.

Wann kommt ein Lieferkettengesetz für die gesamte EU?

Glaubt man aktuellen Aussagen verschiedener EU-Parlamentsabgeordneter, möchte die EU-Kommission im Sommer 2021 einen konkreten Vorschlag eines europäischen Lieferkettengesetz veröffentlichen. Laut Anna Cavazzini, Abgeordnete der Grünen und Vorsitzende des Ausschusses für Binnenmarkt und Verbraucherschutz im EU-Parlament, beinhaltet die EU-Variante viele Punkte, die in der deutschen Version noch ausgeklammert wurden – wie etwa die Sorgfaltspflicht entlang der gesamten Lieferkette oder eine mögliche zivilrechtliche Haftung verantwortlicher Unternehmen.

Wann ein europäisches Lieferkettengesetz in Kraft treten könnte, ist derzeit noch unklar. Trotz der womöglich schärferen Maßnahmen der EU sind deutsche Unternehmen mit der nationalen Variante des Lieferkettengesetz bereits gut vorbereitet. Geht es um verbesserte Arbeitsbedingungen und die Auslegung der Sorgfaltspflicht, steht uns ein spannendes Jahr 2021 bevor.

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Online-Redaktion

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