Erfahrungsbericht: Leistungsfähiger durch Power-Schlaf

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Wie schenkt man dem Tag mehr Stunden? Indem man diese der Nacht raubt, glauben viele. Doch ist das gesund? FOCUS-Autorin Beate Strobel sucht in dem Seminar „Leistungsfähiger durch Power-Schlaf“ nach Alternativen.

Der frühe Vogel fängt den Wurm

Es ist, als habe der frühe Vogel neuerdings eine Image-Beratung eingestellt: Sein Ruf ist so gut wie lange nicht mehr. Der:Die Manager:in, der:die im einsamen Licht seiner Schreibtischlampe noch eine Power Point Präsentation erstellt und um 02:14 Uhr die letzte Rundmail abschickt, erweckt nur noch Mitleid. Wer heute Erfolg haben will, muss frühmorgens durch stille Straßen joggen, danach meditieren und ein paar Zeilen Ovid im Original lesen. Die erste Rundmail ans Team geht um 05:14 Uhr raus, eingeleitet mit einem lateinischen Vers.

Frühe Vögel kommen hoch hinaus, scheint es. Apple-Chef Tim Cook arbeitet angeblich ab 04:30 Uhr Mails ab, Virgin-Chef Richard Branson ist ab fünf Uhr auf den Beinen, Ex-Bahnchef Rüdiger Grube schläft selten länger als vier Stunden pro Nacht. Nur vier Stunden? Jede Nacht? „Kann man machen“, sagt Referentin Astrid Böttger und lächelt. „Aber das kostet.“

Drei Worte, die uns Seminarteilnehmer aufhorchen lassen. Schließlich haben wir diesen Kurs mit dem Titel „Leistungsfähiger durch Power-Schlaf“ gebucht in der Hoffnung, den Tag zu verlängern durch Optimierung der Nachtstunden. Das Schlafzimmer, bisher effizienzbefreites Naherholungsgebiet, soll zum Powerzentrum werden. Und jetzt behauptet die Trainerin, dass es da einen Kostenfaktor gäbe?

Schlaf als Hochleistungsträger

Anders als der frühe Vogel hat nämlich der Schlaf ein Image-Problem. Unproduktives Herumliegen ist in diesen agilen Zeiten eine fragwürdige Freizeitbeschäftigung. Doch der Schlaf ist ein verkannter Hochleistungsträger. Während sich das Bewusstsein in den Feierabend verabschiedet, regeneriert sich die Haut, werden Muskeln aufgebaut. Die Immunabwehr formiert sich neu, Lerninhalte werden vom Kurz- ins Langzeitgedächtnis verschoben. Während wir träumen, räumt der Körper auf, führt nötige Reparaturarbeiten durch und entsorgt den Müll.

Was ist „guter“ Schlaf?

Dafür benötigt der Körper: Zeit und Ruhe. Denn nur ein guter Schlaf ist ein Power-Schlaf. Was aber bedeutet „gut“? Der erwachsene Mensch schläft idealerweise sieben bis neun Stunden, wobei es individuelle Ausreißer in beide Richtungen geben kann, erklärt Böttger. Sieben bis neun Stunden? Nicht nur ich stöhne auf. Ein Seminarteilnehmer erzählt, dass er das nur schafft, wenn er die Schlummer-Stunden abends vor dem Fernseher mitzählt. Eine andere berichtet, sie würde sich den Netto-Schlafwert meist verderben durch stundenlanges Wachliegen im Bett. Bei mir zählen wegen dringender Abgabetermine bei gleichzeitiger Haltung schulpflichtiger Kinder sechs Stunden Schlaf als gute Nacht.

Mit dem Gefühl, zu wenig Nachtruhe zu bekommen, stehen wir nicht alleine da. Die Zahl der ärztlich diagnostizierten Schlafstörungen ist zwischen 2005 und 2017 um sagenhafte 111 Prozent gestiegen, belegt eine Studie der Barmer Krankenkasse. Frauen sind davon häufiger betroffen als Männer, Ältere eher als Junge. Wer regelmäßig weniger als sechs Stunden Schlaf bekommt, steigert sein Erkältungsrisiko um das 4,2-fache, haben Forscher der Universität von Kalifornien herausgefunden. Selbst das Risiko für Krebserkrankungen wird mit Schlafmangel in Verbindung gebracht. Manche Wenigschläfer:innen schaffen es offenbar so in die Chef:in-Etagen, die Mehrheit eher in den Krankenstand.

Pausen sind wichtig! Gönnen Sie sich Ruhe

„Wann kommen Sie zur Ruhe?“, fragt Astrid Böttger in die Runde. „Wenn ich in der Mittagspause in der Sonne sitze“, sagt eine Frau. „Wenn ich im Garten arbeite“, meint ein anderer Teilnehmer. „Auf meinem Boot“, sagt der nächste, „da kann mich niemand erreichen.“ Und ich? Sobald mein Kopf das Kissen berührt. Leider ist es dann oft bereits nach Mitternacht. Wir alle reden von diesen Ruhemomenten, als wären sie uns unangenehm. Da ist sie wieder, die Sorge, als unproduktiv angesehen zu werden. Böttger schüttelt den Kopf: „Was machen Sie mit Ihrem Handy, wenn der Akku zur Neige geht? Sie laden es auf.“ Nur wir geben lieber den Duracell-Hasen, der immer schlapper trommelt.

Der erste Schritt zum besseren Schlaf findet im Kopf statt: Man muss sich die Ruhe gönnen können. Einem Kurskollegen etwa tut es gut, wenn er nach der Arbeit erst einmal eine Runde joggt. „Aber das kriege ich zu Hause nicht verkauft“. Denn da ist die Ehefrau, da sind die Kinder, alle haben auf ihn gewartet, alle wollen etwas von ihm… „Warum machen wir Pausen?“, fragt Astrid Böttger streng. Aus Egoismus? Familie, Kollegen, der Chef müssen zwar kurzfristig auf uns verzichten – langfristig aber profitieren sie von einem innerlich beruhigten Mitmenschen.

Abendroutine für einen erholsamen Schlaf

Ein guter Start in den Tag, erklärt Böttger, beginnt am Abend davor. Mehr Bewegung und weniger Kohlenhydrate vergrößern die Bettschwere. Die Stunde vor dem Einschlafen dient dazu, den Geist runterzubringen. Heißt: Natur-Doku statt Thriller, Buch statt Tablet oder Handy, denn das Blaulicht im LED-Bildschirm hemmt die Ausschüttung des Schlafhormons Melatonin. Noch besser wäre, in der Badewanne abzuhängen oder einem Hörbuch bei Schummerlicht zu lauschen. Am besten: Entspannungsübungen wie Autogenes Training oder Progressive Muskelrelaxation. Die allerdings sollte man „in Friedenszeiten“ üben, um in der Krise gerüstet zu sein. Sich zu entspannen ist nichts, was man sich spontan verordnen kann.

Was tun bei Schlaflosigkeit?

Nachts aufzuwachen ist außerdem nichts Besonderes. Der Mensch schläft in vier bis sechs Zyklen von je 90 Minuten und wacht bis zu 20 Mal in einer Nacht auf, ohne sich am nächsten Tag daran erinnern zu können. Manchmal allerdings will sich dann der Schlaf nicht mehr einfinden. Jetzt hilft eine kleine autogene Entspannungseinheit. Oder aber das Gegenteil: aufstehen und etwas besonders Langweiliges machen, etwa bügeln oder Socken sortieren. Oder aus dem Fenster in die Dunkelheit starren, bis die Augenlider schwer werden.

Wichtig ist, sich klarzumachen, dass der achtstündige Schlaf nicht immer die Norm war. Der Urmensch stand alle paar Stunden auf, um nach Feuer und Vieh zu schauen. Dafür legte er sich tagsüber immer mal wieder hin. Christiano Ronaldo, Leistungsträger im internationalen Fußball, macht es ähnlich: Er schläft nicht ein-, sondern fünfmal am Tag – aber dafür jeweils nur 90 Minuten, also genau eine Schlafzyklus lang. Laut seinem Schlafcoach Nick Littlehales ist das die ideale Basis für mehr Effizienz.

Power-Napping: Schlafen, wann und wo immer Sie können

Für uns Normalos, die keinen Schlafcoach, dafür einen Acht-Stunden-Tag haben, ist das wenig praktikabel. Uns rät Böttger das, was man stets jungen Müttern sagt: „Schlafen Sie, wann und wo immer Sie können.“ Ein „Power-Nap“ nach dem Essen kann wahre Wunder bewirken, sofern er nicht länger als 20 oder mindestens 90 Minuten andauert. Andernfalls wird man mitten in der Tiefschlafphase geweckt und fühlt sich wie ein Zombie. Also am besten einen Wecker stellen. Ein Espresso, vorab getrunken, hilft beim Aufstehen, da seine anregende Wirkung nach etwa 20 Minuten einsetzt.

Ist das gesunde Napping nicht möglich, rät Böttger zumindest zu kleinen Auszeiten, die man nach Bedarf in den Alltag einstreuen kann. Die Expertin lässt uns zwei geschlagene Minuten auf den sich drehenden Zeiger einer analogen Uhr starren (macht mich sehr ungeduldig), im Schneckentempo maximal bewusst durch den Raum gehen (eine echte Herausforderung) und abwechselnd durch das linke und rechte Nasenloch atmen (Wechselatmung des Pranayama, stellt mich total ruhig). Braucht alles nicht mehr Zeit als die Zigarettenpause der rauchenden Kollegen. Warum sich nicht mal eine Nichtraucher-Pause gönnen?

Die Luxusvariante aber heißt „Yoga Nidra“ und ist eine Art Entspannungs-Schlaf. Wir liegen auf dem Boden des Tagungsraums, Kissen unter dem Kopf, Decke über den Beinen. Mit sanfter Stimme führt Astrid Böttger uns erst durch alle Körperteile und dann in den Gedanken über Wiesen und Wälder, Felder und Flüsse. Nur 15 Minuten dauert die Tiefenentspannung. Doch danach fühle ich mich für den Rest des Tages wie frisch gebadet.

Fazit: Ruhe ist der Schlüssel zu mehr Power

Noch auf dem Heimweg vom Seminar markiere ich diverse YouTube-Filme mit Yoga-Nidra-Sessions. Lade eine Entspannungs-App herunter. Und gönne mir im Zug seliges Dösen, anstatt den Laptop hochzufahren. Angereist bin ich ins Seminar mit dem Wunsch nach mehr Power. Abgereist bin ich mit der Gewissheit, dass Ruhe der Schlüssel ist für Vieles. Unter anderem für mehr Power.

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Über den:die Autor:in

Beate Strobel

Beate Strobel hat Psychologie studiert und 16 Jahre lang als Redakteurin beim Nachrichtenmagazin „FOCUS” gearbeitet. Inzwischen ist sie als freiberufliche Journalistin tätig. Für das Magazin „FOCUS Business” schreibt sie regelmäßig über Weiterbildungsseminare.

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