Wer Kulturwandel will, braucht Gleichstellung!

Gastbeitrag von Rea Eldem

Egal ob in Startups oder in Großkonzernen, Manager*innen zerbrechen sich den Kopf darüber, wie eine nachhaltige Organisationskultur aussehen kann. Das funktioniert nur, wenn Gleichstellung strategischen Wert bekommt. Eine Anleitung für Führungskräfte.

Kulturwandel mit Elefanten im Raum

Für alle, die sich darüber wundern, dass Bemühungen um Gendergerechtigkeit nicht im Zentrum der komplexen Transformationsstrategien ihrer Unternehmen stehen, sondern als separates Thema gehandhabt werden: Ihr habt gut aufgepasst.

Seit 2018 arbeite ich mit Organisationen daran, diese Frage mit Antworten zu füllen, die zu ihnen passen. Wie lässt sich eine Kultur wandeln und welche konkreten Praktiken bedarf es dazu? Obwohl immer noch weniger als 10% der Vorstandsmitglieder deutscher börsennotierter Unternehmen Frauen sind, werden Bemühungen zur Gleichstellung oft nicht als Teil des Kulturwandels betrachtet.

Kultur ist ein oft schwammiger Begriff, der verinnerlichte soziale Codes und nicht greifbare Vorstellungen vom Miteinander und der Arbeitsweise zusammenfasst. Im Wesentlichen ist die Kulturfrage im Konzern nichts weniger als die Frage, wie wir zusammenarbeiten möchten. Heute, morgen, übermorgen.

Stattdessen wird Gender im Personal platziert oder gar im Marketing. Das ist verwunderlich, denn Fragen rund um Gleichstellung im Konzern lassen sich nicht in Silos beantworten; es bedarf einer Vision, die bei der Identität des Unternehmens ansetzt und über einzelne Abteilungen hinausgeht. Wenn sich aus dieser Vision unter anderem Strategien für Personal und Marketing ableiten lassen, umso besser.

Haltung und Zusammenarbeit neu denken – Fehlerkultur und Paradigmenwechsel leben

Kulturwandel wird derzeit viel diskutiert. Fachkräftemangel, globalisierte Arbeitsströme, zunehmende Mobilität und Anforderungen der neuen Generation auf dem Arbeitsmarkt haben zu dem Bewusstsein beigetragen, dass es Veränderungen in der Art und Weise, wie wir arbeiten, bedarf. Manager*innen nehmen diesen Wunsch nach Veränderungen ernst und schulen sich in alternativen Methoden, die ihr Innovationsvermögen steigern und dem Unternehmen einen neuen Schliff verpassen sollen: Design Thinking, Lean Leadership, agiles Projektmanagement, Hollocracy und Co. sollen dabei helfen, alte Strukturen zu revolutionieren und die eigene Arbeitskultur zu transformieren.

Aber wie können Führungskräfte Arbeitskultur revolutionieren? Um einen nachhaltigen Wandel zu vollziehen, bedarf es weitaus mehr als neue Methoden und Workflows. Die Suche nach einer zukunftsgerichteten Identität bedarf Mut, das Etablieren einer Fehlerkultur und ein Paradigmenwechsel in Sachen Haltung und Zusammenarbeit. Letzteres zu adressieren und dabei Fragen rund um Geschlechterverhältnisse auszuklammern erscheint mir fahrlässig: Hierarchien sind in der deutschen Konzernwelt stark mit Alter, Ethnie und Gender verwoben, Macht ist dementsprechend eher männlich als weiblich, eher ohne Migrationshintergrund als mit und eher alt als jung.

Interdisziplinarität, Vielfalt, und statusübergreifende Zusammenarbeit als Mehrwert

Wenn Kulturwandel bedeutet, Hierarchien (zumindest punktuell) zu überwinden, um in Teams zu innovieren, sollten Sie sich auch die Frage stellen, wie Sie eine Unternehmenskultur schaffen, die Interdisziplinarität, Vielfalt, und statusübergreifende Zusammenarbeit als Mehrwert begreift und Macht (zumindest punktuell) umverteilt.

Machtumverteilung muss nicht zwangsläufig bedeuten, die Entscheidungen zu demokratisieren. Primär geht es darum, Menschen in allen Hierarchiestufen zu ermöglichen, die eigenen Ideen umzusetzen und sich einzubringen, im Unternehmen mitzuwirken und Gehör zu finden.

Konkrete Praktiken etablieren, um Kultur neu zu leben

Wer eine inklusive Teamkultur etablieren möchte, muss zunächst bestehende Gruppendynamiken verstehen und herausfinden, wie denjenigen, die anders denken als wir selbst, Routinen, Praktiken und Kommunikationsmuster wahrnehmen. Machtumverteilung kann in diesem Sinne auch bedeuten, die Erfahrungen von Anderen mindestens so ernst zu nehmen, wie die eigenen – auch wenn sie erheblich von der eigenen Wahrnehmung abweichen.

Hier können alternative Übungen, wie Check-Ins und Check-Outs aus dem Design Thinking Baukasten hilfreich sein – allerdings als gezieltes Mittel zum Zweck und nicht als Selbstzweck. Auch die Kommunikation, intern und extern, lässt sich von einer Gender Perspektive betrachten. Hier lohnt sich eine Analyse der Unterlagen, die dazu dienen soll das Unternehmen nach außen zu repräsentieren. Bereits kurze qualitative Nutzer*innenumfragen können helfen, eine Vorstellung davon zu bekommen, wie beispielsweise neue Stellenausschreibungen bei jungen Frauen ankommen oder welche ersten Eindrücke sie auf Basis der Website vom Unternehmen gewinnen.

Als Führungskraft haben Sie einen anderen Blick auf die eigene Kultur, als ihn Berufseinsteiger*innen haben. Manger*innen sind überrascht, wenn sie mit Zitaten ihrer Mitarbeiterinnen konfrontiert werden, die ihrer eigenen Wahrnehmung wiedersprechen. Dabei ist es völlig normal, dass Menschen im gleichen Umfeld unterschiedliche Erfahrungen voneinander machen, je nachdem mit welchem Körper und in welcher Position sie stecken.

Wer eine innovative Unternehmenskultur will, darf sich im Zuhören üben

Es lohnt sich, den unterschiedlichen Wahrnehmungen Gehör zu schenken und die verinnerlichten sozialen Codes und oft unsichtbare Normen, die das Arbeitsklima prägen, begreifbar zu machen. Wichtig dabei ist, dass ihr nicht versucht, andere von eurer Wahrnehmung zu überzeugen. Wahrnehmung ist subjektiv.

Kulturwandel ist ein großes Projekt, auf das mit vielen verschiedenen Blickwinkel geschaut werden kann. Klar ist, dass Kultur von Strukturen geformt und von Menschen gelebt wird. Führungskräfte haben einen Hebel, um strukturelle Veränderungen im Konzern voranzutreiben und die Rahmenbedingungen so zu setzen, dass ehrliche Debatten über Organisationskultur möglich werden. Erst wenn dieser Rahmen stimmt, können Teams über die Art und Weise, wie miteinander gesprochen, umgegangen und Kritik geäußert wird, reflektieren und sich neu erfinden.

Das können Führungskräfte tun:

  • Einstellungsprozesse analysieren und ggf. iterieren
  • Kurze und häufige Feedback-Schleifen etablieren
  • Perspektive und konstruktive Kritik der Mitarbeiterinnen einholen
  • Nur Termine zu familiengerechten Zeiten einstellen
  • Veränderung messen (z.B. Mitarbeiterinnenzufriedenheit, gender ratio)

Es sind gerade die Meinungen und Erfahrungen der Mitarbeiterinnen, die Manager*innen dabei helfen, die pain points ihrer Unternehmenskultur zu erfassen und die Kultur gleichberechtigter zu gestalten. Fühlen sich Frauen vielleicht unwohler als Männer? Hat das was mit dem Alter zu tun?

Erst wenn es ein klares Bild über etwaige Missstände gibt, können gezielte Strategien zur Verbesserung entwickelt werden. Und davon profitieren langfristig alle.

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