Moralische Frauen und risikoaffine Männer: Interview mit Dr. Verena Utikal

Männer sind vom Mars und Frauen von der Venus? Zumindest beim Thema Entscheidungen könnte man das denken, denn hier gibt es signifikante Unterschiede zwischen den Geschlechtern! Wir sprachen mit Dr. Verena Utikal, Mathematikerin und promovierte Volkswirtin im Bereich Verhaltensökonomik / Behavioral Economics. Sie arbeitete als Professorin an der Universität Nürnberg sowie der Universität Ulm und ist heute als Beraterin, Trainerin und Coach sowie als Moderatorin des ntv-Podcasts „Ja. Nein. Vielleicht.“. tätig. Sie verfügt über zehn Jahre Erfahrung im Bereich der Entscheidungs- und Verhaltensforschung.

Frau Prof. Utikal, wie entscheiden denn typischerweise Frauen und wie entscheiden Männer?
Der Prozess der Entscheidungsfindung ist unbekannt – wir wissen tatsächlich nicht, wie Männer Entscheidungen fällen und wie Frauen dies tun. Aber wir wissen, dass Männer und Frauen in identischen Situationen ganz unterschiedliche Entscheidungen fällen. Warum dies so ist, ist auch noch nicht klar. Allerdings gibt es verschiedene Hypothesen, die sich auf die Kurzformel „Nature versus nurture“ herunterbrechen lassen: Entweder gibt es eine biologische Ursache, wie etwa die unterschiedlichen Hormone oder es ist eine Frage der Erziehung.

Was sind typische Beispiele für weibliche oder männliche Entscheidungen?
Frauen sind risikoscheuer als Männer und entscheiden häufiger nach moralischen Kriterien – ihre Entscheidungen sind also oft altruistischer. Neben dem Risiko schrecken sie in ihren Entscheidungen häufig auch vor Wettbewerbssituationen zurück. Ein Beispiel aus der Forschung, wo Probanden vor die Wahl gestellt wurden: In der ersten Variante sollten sie eine mathematische Aufgabe lösen und Geld erhalten, wenn sie auf das richtige Ergebnis kommen. In der zweiten Variante erhielten sie für das Rechnen der gleichen Aufgabe deutlich mehr Geld – sollten sie allerdings im direkten Vergleich mit einem Konkurrenten lösen. Interessanterweise haben selbst die guten Mathematikerinnen meist die erste Variante gewählt, während bei den Männern selbst die schlechten Rechner sich für den Wettbewerb entschieden haben. Zudem zeigt unsere Forschung, dass Frauen meist auch verbindlicher sind, was Versprechen anbelangt: Wenn sie einmal ihr Wort gegeben haben, halten sie es auch.

Lässt sich das denn über alle Generationen und Hierarchiestufen hinweg überhaupt so pauschal sagen?
Leider gibt es die Forschung zu unterschiedlichen Entscheidungen von Männern und Frauen noch nicht so lange, dass wir genug Daten zur Vergleichbarkeit von Generationen hätten. Aber es gibt Studien aus Skandinavien, die zeigen: Das Klischee, dass sich Frauen in Führungspositionen „typisch männlich“ verhalten, stimmt so nicht – zumindest nicht, was ihre Entscheidungen anbelangt. Auch aus diesem Grund ist es also wichtig, für diverse Führungsgremien zu sorgen, denn so fließen unterschiedliche Gesichtspunkte in die Entscheidungen des Managements ein.

Warum ist es relevant, über die unterschiedlichen Entscheidungen Bescheid zu wissen? 
Nur wenn wir um Unterschiede wissen, können wir an den richtigen Stellschauben drehen, wenn wir ein anderes Verhalten erreichen wollen. Ein Beispiel: Wenn wir mehr Frauen in Führungspositionen bringen wollen, wir aber wissen, dass Frauen Wettbewerbssituationen scheuen, müssen wir andere Wege finden, um ihnen dennoch den Aufstieg auf der Karriereleiter zu ermöglichen.

Und was machen wir jetzt mit diesem Wissen?
Wir sind auf der Welt, um sie zu gestalten. Wenn ich also um die Hintergründe von Entscheidungen weiß, kann ich sie (positiv) beeinflussen, indem ich die Entscheidungsarchitektur verändere. Ein Beispiel: In Deutschland sind 11% der Bevölkerung Organspender, in Österreich jedoch 98%. Woran das liegt? In Deutschland müssen sich die Menschen bewusst dafür entscheiden, nach ihrem Tod ihre Organe zu spenden, in Österreich ist hingegen jeder Einwohner per se auch Organspender, es sei denn, er entscheidet sich bewusst dagegen. Mit dem Wissen, dass Menschen in ihren Entscheidungen am liebsten am Status Quo festhalten und nichts verändern wollen, lässt sich dieses Phänomen sehr gut erklären – und auch der Kunstgriff nachvollziehen, mit dem die österreichische Regierung 1982 die Zahl der Organspender auf einen Schlag drastisch erhöhte.

Wie kann ich mit diesem Wissen Entwicklung positiv beeinflussen?
Auch Entwicklung hängt von Entscheidungen ab: Schaffe ich es, neben dem Job noch eine Weiterbildung zu absolvieren? Soll ich mich für das Führungskräfteprogramm meines Arbeitgebers melden? Wenn Personalentwickler wissen, dass sich Frauen voraussichtlich weniger häufig bewerben, wenn sie dadurch in Konkurrenz zu ihren Kollegen geraten, können sie beispielsweise die Zugänge zu internen Programmen anders gestalten, um ihre kompetenten Mitarbeiterinnen besser zu erreichen.

Haben die unterschiedlichen Entscheidungen bei Männern und Frauen einen Einfluss auf die Karriere?
Aufgrund der Wettbewerbsscheue vieler Frauen treffen sie tatsächlich häufiger Entscheidungen, die ihrer Karriere nicht zuträglich sind. So gehen viele Frauen auch Verhandlungen aus dem Weg, weil sie Angst haben, nicht als freundlich wahrgenommen zu werden, wenn sie inhaltlich hart bleiben und keine Kompromisse eingehen. Diese und viele weitere Gesichtspunkte führen dazu, dass wir darüber nachdenken sollten, ob wir – wie in Österreich bei der Organspende – die Entscheidungsarchitektur verändern sollten, um Frauen den Weg an die Unternehmensspitzen zu ebnen.

Wie erleben Sie die Entscheidungen von Männern und Frauen? Haben Frauen tatsächlich Nachteile in der Karriere, weil sie zu moralische Entscheidungen treffen und Konkurrenzsituationen meiden? Wir freuen uns auf Ihre Kommentare!

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