Paradoxe Interventionen im Business-Coaching

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Leseprobe aus Seminarunterlage der „Haufe Coaching-Ausbildung

Hier finden Sie einen exemplarischen Auszug aus der Seminarunterlage. Gewinnen Sie so Eindrücke zum Seminar bzw. von einem im Seminar behandelten Teilaspekt des Themas.

Die Paradoxe Intervention ist eine Methode aus der systemischen Therapie zur Auflösung festgefahrener Sichtweisen. Durch den Einsatz eines unerwarteten, paradoxen Ansatzes können Standpunkte nachhaltig erschüttert und so Problemlösungen möglich gemacht werden. Die paradoxe Intervention steht zunächst – da sie offensichtlich das Gegenteil von dem anregt, das vernünftigerweise anzustreben ist – in scheinbarem Widerspruch zu den beraterischen oder therapeutischen Zielen; sie ist aber dafür entworfen worden, diese Ziele auf anderen Wegen zu erreichen.¹

Die Kernaussage der paradoxen Intervention

Wie bringt man eine Kuh in den Stall? Den meisten Menschen werden zwei Möglichkeiten einfallen: Ich ziehe am Halsband oder schiebe das Tier von hinten. Was aber, wenn beides nicht funktioniert, weil sich die Kuh weigert? Da hatte Verhaltensforscher Milton Erickson die richtige Idee: Er zog der Kuh am Schwanz und sofort lief sie in die andere Richtung, geradewegs in den Stall. Eine paradoxe Intervention ist die Aufforderung eines Beraters bzw. einer Beraterin an seine:n Klient:in, genau das Gegenteil von dem zu tun, was eigentlich erreicht werden soll. Absicht: Funktion und Steuerbarkeit des problematischen Verhaltes werden bewusst gemacht.

„Tun Sie in dieser Woche nichts gegen das Problem, damit wir sehen, wie schlimm es tatsächlich ist”, impliziert die prinzipielle Möglichkeit, dass die:der Klient:in etwas dagegen tun kann und lenkt die Aufmerksamkeit auf die Suche nach solchen Möglichkeiten.

Der Nutzen der paradoxen Intervention

Grundsätzliches Ziel paradoxer Interventionen ist es, dass Coach:in und Klient:in ein Verhalten oder eine Ansicht nicht mehr bekämpfen, sondern dass es weiter ausgelebt und/oder sogar noch gesteigert werden „darf“. Durch das paradoxe Verhalten können die ungünstigen Auswirkungen deutlicher in den Fokus und die Wahrnehmung gelangen und führen zu (dem erwünschten) Erkenntnis- und Weiterentwicklungsgewinn. Anstatt eine innere Abwehr aufzubauen, kann die:der Klient:in ihr:sein Verhalten weiterführen, entspannt sich, geht tiefer in das ungünstige Verhalten und bekommt dadurch die Chance, klar zu erkennen, was sie:er wirklich tut und welche Auswirkungen das – zumeist negative – Handeln hat. Die daraufhin selbst erzeugte Einsicht und Erkenntnis über die schädlichen Auswirkungen ihres:seines Tuns kann im nächsten Schritt eine tiefe Abwehr überwinden und zu einer freiwilligen Verhaltens- bzw. Ansichtsänderung führen. In vielen Fällen wird das Symptom oder das ungünstige Verhalten über kurz oder lang ganz verschwinden. Man bekämpft quasi Feuer mit Feuer.

Das Anwendungsprinzip einer paradoxen Intervention setzt auf den bewussten Umgang mit einer Situation, auf das langfristige Herstellen echter Bewusstheit und eines deutlichen Bewusstseins über das eigene Tun. Paradoxe Aufgaben können dort sinnvoll eingesetzt werden, wo sich soziale Systeme (Familien, Paarbeziehungen, Unternehmen) oder innere Überzeugungssysteme in einzelnen Individuen den unmittelbaren Wegen einer Veränderung widersetzen oder wo solche wirkungslos sind. In Situationen, in denen Systeme durch dysfunktionale Muster zusammengehalten werden, wird jede Veränderung als Bedrohung der Stabilisierungsregeln empfunden. Insofern „verschreibt“ man genau das, was die Klient:innen ohnehin machen, in der Hoffnung auf echten Erkenntnisgewinn. Eine tiefe Erkenntnis ist erforderlich, um die Energie zur Überwindung der Schwierigkeiten einer zusammenbrechenden dysfunktionalen Struktur, entfalten zu können. Die innere und äußere (Verteidigungs-)Abwehr ist in der Regel immens groß. Häufig ist Humor bei paradoxen Interventionen sehr hilfreich und kann als Medium zur Überwindung der inneren Blockade eingesetzt werden.

Praxis

Dem Einsatz einer paradoxen Intervention geht der Aufbau eines tiefen Vertrauensverhältnisses mit dem Klienten voraus. In der Praxis wird ein Coach den Klienten und seine Verhaltensmuster zunächst sehr gut kennen lernen wollen, bevor er das „Wagnis“ eingeht, seinem Klienten im Rahmen des Coaching-Prozesses Dinge sozusagen zu erlauben, die eigentlich schädlich für ihn sind oder zumindest diametral zu den Coaching-absichten stehen. Der Coachingauftrag wird vermutlich im Grundsatz eine andere Intention und Zielrichtung beinhalten. Die paradoxe Maßnahme sollte, da sie eine wohlmeinende Manipulation des Klienten beinhaltet und im Grundsatz nicht immer einfach zu kontrollieren ist, nur eingesetzt werden, wenn der Coach Anzeichen und Hinweise aufgenommen hat, dass der Klient in der Tiefe bereits Einsichten zeigt und eine Verhaltensänderung wünscht, er jedoch noch aufgrund von Scham- und Schuldgefühlen sowie zur Wahrung seines Gesichtes auf alten Standpunkten beharrt.

Beispiele

⇒ Beispiel 1

Ein älterer Herr sitzt um die Mittagszeit auf einer Bank im Park. Da kommt eine Horde junger Burschen, die ihn beschimpfen. Beim ersten Mal geht er auf das Spiel ein, versucht die Burschen zu vertreiben, beschimpft sie ebenfalls. Am nächsten Tag das gleiche Spiel. Am dritten Tag kommt er auf eine Idee: Er ruft die schimpfenden Burschen zu sich und lobt sie für das, was sie tun und verspricht ihnen, wenn sie am nächsten Tag wieder kommen, ihnen ein Eis zu spendieren. Jubelnd kommen die Burschen am nächsten Tag und beschimpfen den alten Mann so gut sie können. Dieser macht sein Versprechen wahr und lobt sie dafür, spendiert ihnen ein Eis und sagt: „Morgen sehen wir uns wieder. Wenn ihr gut schimpft, bezahle ich euch wieder ein Eis.” Am anderen Tag sind die Burschen nicht mehr gekommen.²

⇒ Beispiel 2

Ein Coach schlägt seinem Klienten, einer Führungskraft, die zu wenig delegiert und daher in Arbeit zu ersticken droht, vor, seinen Mitarbeitern noch mehr Arbeit abzunehmen und diese dann an den Abenden und an den Wochenenden zu erledigen. Idealerweise wird der Klient nach kurzer Zeit feststellen, dass diese Art der Führung nicht mehr zu bewältigen ist und von sich aus mit seinem Coach nach Ansätzen suchen, wie er besser delegieren kann.

Leseprobe aus Seminarunterlage "Haufe Coaching Ausbildung"

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Abgrenzung
Die paradoxe Intervention ist ein umfassender Begriff verschiedener Maßnahmen zur paradoxen Herangehensweise in einem Coaching- oder Therapiekontext. Sie ist nicht zu verwechseln mit der paradoxen Intention von Viktor Frankl. Die paradoxe Intention ist eine Technik, bei der der Klient aufgefordert wird, sich genau das herbeizuwünschen und in den Fokus zu nehmen, wovor er Angst hat. Die dahinterliegende Absicht zielt auf die Entwicklung einer Haltung, die es ihm ermöglicht, sich mit seinen Blockaden und Ängsten auseinanderzusetzen und festzustellen, dass die realen Gefahren nicht ansatzweise so groß sind, wie die Vorstellung von ihnen. Auf diesem Weg kann er sie nach und nach selbstbewusst überwinden. Sich selbst bestätigende und erfüllende Teufelskreise der Angst können durchbrochen werden.

Weiterführende Literatur:
Jiménez, F. : „Wie man sich selbst überlisten kann.“
Die Welt. 18. Juli 2016 http://www.welt.de/10520056


¹ Rohrbaugh, M., 1981, Wirkfaktoren paradoxen Vorgehens in der Psychotherapie, W. Blankenburg, Springer, 1990
² Watzlawick, P., 1982

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Über den:die Autor:in

Harald Hildwein

Diplom-Betriebswirt, Trainer, systemischer Coach und Change Manager mit den Schwerpunkten Change Management, Coaching und Team-/Gruppencoaching, Training, Moderation. Harald Hildwein verfügt über eine langjährige Führungserfahrung im Finanzbereich im internationalen Umfeld. Er arbeitet zeitweise auch als Interim Manager.

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