Die PE auf den Kopf stellen – wie 70-20-10 wirklich zündet

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Klassische, formale Lernangebote machen heute noch immer den Großteil der betrieblichen Weiterbildung aus. Doch diese Form der Personalentwicklung allein reicht nicht mehr aus. Wir müssen Lernen auf den Kopf stellen.

Das Modell 70-20-10 ist für berufliches Lernen vielfach anerkannt: 70 Prozent der relevanten Kompetenzen erwerben wir demnach am Arbeitsplatz, im täglichen Tun. Lernen durch Handeln (learning on the job) findet zum Beispiel dann statt, wenn wir neue Erfahrungen in Projekten machen, schwierige Aufgaben meistern oder eine neue Software direkt anwenden. 20 Prozent des Lernens entfallen demnach auf Feedback und Mentoring im Austausch mit Vorgesetzten, Coaches, Mentor:innen und Kolleg:innen – also auf das soziale Lernen. Klassische Formate wie Seminare, Kongresse oder E-Learnings, das formale Lernen, machen lediglich 10 Prozent aus. In deutschen Unternehmen sieht die Realität aktuell jedoch genau umgekehrt aus: Sie legen den Fokus in der Weiterbildung auf die 10 Prozent des formalen Lernens. Dadurch verpassen Organisationen einen Großteil ihrer Zukunftschancen und verschwenden Budget. Trotzdem machen alle mit und immer so weiter. Warum eigentlich?

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Weiterbildung dient noch immer als Incentive für die Mitarbeitenden, die sich freuen, wenn sie „mal raus” auf ein Seminar dürfen. Formales Lernen erscheint leicht zu planen, zu budgetieren und zu organisieren. Ein ganzheitlicher Ansatz, der informelles Lernen mit einbezieht, scheitert bislang vor allem an der nötigen Vorstellungskraft. Für „Neues Lernen” im Sinne von 70-20-10 brauchen wir also eine neue Utopie.

Das Weiterbildungsdilemma

Der klassischen Verteilung des PE-Budgets fehlt der direkte Kontakt zum ganzheitlichen Lernen im Unternehmen.

Eine realistische Utopie für Neues Lernen: Den heutigen Invest in Lernen auf den Kopf stellen

Doch wie könnte eine machbare Utopie für Neues Lernen aussehen? Die Pyramide gemäß 70-20-10 erfordert eine ganzheitliche Strategie, die an verschiedenen Stell- schrauben ansetzt:

# Strategische Personalplanung

Zukunftsfähige Organisationen denken darüber nach, welche Mitarbeitende sie in einigen Jahren brauchen und inwiefern sie diese an Bord haben oder auf enger werdenden Arbeitsmärkten noch finden. Die betriebliche Weiterbildung muss die Personalstrategie optimal unterstützen.

# Learner’s Journey

Betriebliches Lernen macht Weiterbildung meist zu einem einmaligen Event. Dabei wollen wir oft etwas auf Vorrat lernen, was wir erst viel später brauchen. Schlecht nur, dass wir dann das meiste davon schon wieder vergessen haben. Deshalb brauchen wir eine integrierte Learner’s Journey, ins- besondere bei komplexen Lernzielen: Formales und informelles Lernen sollten sich je nach Stand der Kompetenzentwicklung abwechseln und ineinandergreifen.

# Lernen gemäß Erfahrung und Reife im Job

Die 90 Prozent informelles Lernen passieren auf einer Learner’s Journey nicht mehr willkürlich, sondern abhängig vom Lernstatus des:der Mitarbeiter:in. Da Newcomer:innen häufig noch viel lernen müssen, um ihre Arbeit zu bewältigen, macht es durchaus Sinn, auch klassische Trainings anzubieten. Mit jeder Entwicklungsstufe im Job vom Young Professional über Senior Professional bis zu Expert nimmt jedoch der Bedarf an formalem Lernen ab, wohingegen informelles Lernen immer wichtiger wird.

# Von Push zu Pull

Wohin die Lernreise geht, bestimmen die Lerner:innen selbst aktiv mit – auch diese Fähigkeit nimmt mit der Erfahrung im Job zu. Dafür braucht es allerdings neue Lernräume, die Lernen verschiedene Optionen eröffnen, damit sie direkt bei Bedarf eine kleine Lerneinheit für ihr akutes Problem ziehen können. Das gemischte Angebot kann von Performance-Support und Bud- dies über Feedback im Team, Lernlaboren und Barcamps bis hin zu E-Learning- Nuggets und Working Out Loud reichen. Wichtig für Personaler:innen ist die Frage: Was ist eigentlich schon da? Oft sind die Tools bereits vorhanden, sie müssen nur die Tool- box aufräumen, strukturieren und transparent machen. Personalentwicklung und Enterprise-Social-Networks (verstanden als Wissensmanagement plus Erfahrungsaustausch) wachsen dabei zunehmend zusammen. In diesen Netzwerken sind Mitarbeitende meist gerne bereit, als Sparringspartner:in zu fungieren, wenn ihnen der Freiraum dafür gewährt wird.

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# Neue Rollenklarheit

Unternehmen müssen die Rollen in der betrieblichen Weiterbildung transparent machen. Sind diese nicht klar definiert, verharren Beschäftigte meist im Status quo und warten darauf, dass sie vom Unternehmen „entwickelt werden”. Ohne Rollenklarheit kann niemand wirklich für das Thema betriebliche Weiterbildung zur Verantwortung gezogen werden. Wer hat welche Rechte und Pflichten, wenn es um die Personalentwicklung geht? Diese Frage gilt es, genau zu beantworten.

„Ich fordere das Comeback der Utopie, weil wir einen neuen Leitstern brauchen. Das Wort Utopie bedeutet sowohl ‚guter Ort‘ als auch ‚in Ort′. Was wir brauchen, sind neue Horizonte, die die Fantasie anregen.”
Philosoph und Historiker Rudger Bregman (New Management Portal)

# Neue Relevanz

Sobald sich Unternehmen stärker auf die 70 Prozent Learning by Doing und 20 Prozent soziales Lernen konzentrieren, bekommen diese eine neue Relevanz – für jede:n Einzelnen, aber auch für das Business. Deshalb sollte HR Aufklärungsarbeit leisten, dar- über, welchen Wert informelles Lernen für alle hat. Die Personaler:innen sollten sich dabei als Befähiger:inen und Multiplikator:innen von Neuem Lernen verstehen.

# Neue Kultur

Neues Lernen gelingt nur als Teil einer neuen Unternehmenskultur. Personalentwickler:innen werden zu Consultants und Travel-Agents, die den Rahmen gestalten und entsprechende Tools zur Verfügung stellen. Führungskräfte unterstützen Mitarbeitende aktiv dabei, sich auch im Tagesgeschäft zu entwickeln, Lernziele zu setzen und diese auch zu erreichen. Neues Lernen erfordert Vertrauen in die Mitarbeitenden: Wer etwas lernen möchte, sollte dies tun können – ohne die Vorgesetzten dauernd um Erlaubnis fragen zu müssen. Führungskräfte und Personalentwickler:innen geben tendenziell Entscheidungsmacht ab, Beschäftigte erhalten mehr Freiraum. Die neue Lern-Kultur umfasst zudem Experimente, die Bereitschaft, Wissen zu teilen, und die Möglichkeit zum ungestraften Scheitern. „Permanent beta” gilt nicht nur für das Changemanagement, sondern auch oder gerade für das Neue Lernen.

Der umgedrehte Invest beginnt mit der persönlichen Haltung – bei allen Beteiligten. Wir brauchen Phantasie, Inspiration und Mut, um uns neu zu erfinden und eine andere Rolle zu leben. Erst mit einem solchen Richtungswechsel im eigenen Denken wird ein Unternehmen zur zukunftsfähigen Organisation.

Neues Lernen macht den Unterschied

In einer sich immer schneller verändernden Arbeitswelt leistet Neues Lernen einen wesentlichen Beitrag zur Zukunftsfähigkeit von Unternehmen. Die Frage ist Was ist an Neuem Lernen so anders, worin liegt der Unterschied?


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Über den:die Autor:in

Katrin Thieme-Wagner

Expertin für Personalentwicklung, Neues Lernen, neue Unternehmensarchitekturen, neue Strategien mit internationalem Erfahrungsfundus aus der Arbeit mit verschiedenen DAX Unternehmen.

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