Agile Zusammenarbeit – Modetrend oder zukunftsweisende Arbeitsform?

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„Unsere Geschäftsleitung lässt sich jetzt ohne Krawatte im Internet abbilden und versteht dies als ihren agilen Beitrag“, erzählte mir eine Personalchefin schmunzelnd bei einem Akquisegespräch. Meine Erfahrung in Schulungen und Coaching ist, dass es sehr unterschiedliche Wissensstände zu Agilität gibt. So wird in einer Studie der Haufe Akademie deutlich, dass dreiviertel der befragten Führungskräfte, die mit agilen Methoden arbeiten, eine wesentliche Effektivitätssteigerung erreichen.  Zwei Drittel der Befragten halten die Einführung und den Ausbau der Agilität für sehr sinnvoll. Agile Zusammenarbeit ist ein komplexes und vielschichtiges Vorhaben. Von der Stange gibt es sie nicht.

Damit für Sie im Unternehmen ein Nutzen entsteht, braucht es die qualifizierte Entwicklung und Anpassung an die bestehende Kultur und Prozesse im Unternehmen. So führt das Management von Mercedes in allen Geschäftsbereichen agile Prozesse ein, um noch wettbewerbsfähiger zu werden. Bosch gründete ein agiles Unternehmen in Leipzig, das sehr erfolgreich Elektromotoren für E-Bikes herstellt. In vielen mittelständischen Unternehmen wird bereits nach agilen Vorgehensweisen gearbeitet oder es gibt ein großes Interesse an Informationen. Welche Kenntnisse und Erfahrungen haben Sie, lieber Leser:innen? Was machen Ihre Wettbewerber?

Die Zufriedenheit des internen oder externen Kunden ist eine wesentliche Ausrichtung in der agilen Zusammenarbeit. Er hat mehr Macht und Einfluss, als in hierarchischen Strukturen. Durch eine intensive Einbindung des Kunden bei der Produktentwicklung oder Umsetzung der Dienstleistung wird sein Mehrwert erhöht. Wenn Sie nach Scrum oder Design Thinking arbeiten, werden Serienprodukte für den Kunden während der Entwicklung an Zielpersonen immer wieder getestet und das Feedback eingearbeitet. Soweit möglich, wird in iterativen, also sich wiederholenden Arbeitsprozessen gearbeitet. Es gibt eine differenzierte Auftragsklärung in Form eines Backlogs, also einer Themenliste und vereinbarte Arbeitsintervalle, Sprints von 4 oder 8 Wochen, in denen eine festgelegte Teilleistung für den Kunden erbracht wird. Dieser nimmt in einem Review die Leistung des Lieferanten ab oder spricht Mängel an, die im nächsten Intervall behoben werden müssen. Änderungswünsche des Kunden sind willkommen und können nach jedem Intervall eingearbeitet werden. Bei dieser „Zusammenarbeit auf Sicht“ gibt es keine Pflichtenhefte und Meilensteine mehr in Projekten, was anfangs zu Verwirrungen führen kann. Die gute Vorbereitung des Kunden ist Voraussetzung für eine schnelle und kompetente Bearbeitung. Die Aufgaben im Backlog werden immer wieder überdacht, verändert und neu priorisiert. Damit ist der Kunde in den Entwicklungsprozess mit eingebunden. Er sollte den Nutzen erkennen, damit er bereit dazu ist. Der Kundenvertreter, auch Product Owner genannt, hat Vollmachten und ist das Sprachrohr des Auftraggebers. Rücksprachen des Teams können durch ihn schnell und kompetent erledigt werden.

Ein weiteres Ziel ist eine hohe Selbstverantwortung des Teams. Aufgaben sollten schrittweise delegiert werden, um die Mitarbeitenden nicht zu überfordern. So entscheidet das Team, das aus 10 – 12 Mitarbeitenden besteht, wer was bearbeitet, in welcher Reihenfolge produziert wird oder wer in welcher Schicht arbeitet. Das fortgeschrittene Team klärt die Aufteilung des Budgets und bespricht die Durchführung von Sonderschichten, Weiterbildung der Teammitglieder sowie Einstellung und Kündigung von Mitarbeitenden. Instandhaltung, Qualitätsmanagement, IT, Buchhaltung und andere Abteilungen können als Stabstellen beratend für die Teams tätig werden. Sie haben keine Weisungsbefugnis. Viele Menschen verstehen dadurch besser betriebswirtschaftliche Abläufe, werden mehr zu Mitunternehmern und die Loyalität und Verantwortung zum Betrieb wächst. Dafür braucht es Zeit und intensive Schulungen, damit es nicht zu Überforderungen kommt. Es gibt jedoch auch Personen, die mit dieser Verantwortung nicht umgehen wollen oder können. Diese sollten von der Führungskraft gecoacht und unterstützt werden. Führt dies zu keinem Erfolg, dann muss für diese Mitarbeitende eine andere Arbeit im Betrieb gesucht werden. Wenn es keine gibt, dann bleibt letztlich nur die Kündigung.

Die agile Zusammenarbeit erhöht die Qualität und sorgt für schnellere Durchlaufzeiten. Dieses weitere Ziel wird durch vereinbarte agile Vorgehensweisen und Werkzeuge unterstützt. Die Absprachen mit dem Kunden werden in einzelne Aufgaben gegliedert und der Bearbeitungsaufwand des Teams geschätzt, um Überlastungen zu vermeiden. Das Kanban-Board hilft, die Arbeitsprozesse und die Schnelligkeit der Bearbeitung für das Team, Kunden und Führungskraft transparent zu machen. So kann das Team Störungen im Arbeitsdurchlauf schneller erkennen und abstellen. Die Effizienz erhöht sich, wenn möglichst immer jedes Teammitglied konzentriert an einer Aufgabe arbeitet und nach dem Pullprinzip Aufgaben vom vorherigen Bearbeiter geholt werden. In täglichen Kurzbesprechungen im Stehen vernetzt sich das Team und informiert sich über tagesaktuelle Entwicklungen. Hindernisse werden von der Führung aufgenommen und möglichst zeitnah gelöst. Die Teammitglieder sollen ihre Zeit für den Wertschöpfungsprozess nutzen. Nach jedem Intervall überlegt sich das Team in der Retrospektive, was in der Leistungserbringung gut gegangen ist und was verbessert werden soll. Daraus werden Maßnahmen entwickelt und umgesetzt. Agilität ist ein evolutionäres Arbeiten, das ständige Verbesserungen einbringt. Organisationen werden als lebendige Systeme gesehen, die sich ständig wandeln, um noch besser zu werden und sich den verändernden Anforderungen der Märkte und Kunden anzupassen und diese kompetent zu erfüllen.

Die agile Arbeitsweise macht ihr Unternehmen für neue Mitarbeitende attraktiver.  Junge Fachkräfte schätzen es, wenn ihre Meinung zählt und sie Aufgaben und Prozesse mitgestalten können. Viele identifizieren sich dadurch mehr mit der Aufgaben und aktivieren ihre Selbstmotivation. Es gab schon Situationen, wo Mitarbeitende in der Firma übernachteten, um Arbeitsengpässe zu beseitigen.

Damit agile Zusammenarbeit einen Mehrwert schafft, sind bestimmte Werte und Verhaltensweisen aller Beteiligten notwendig. In autoritären und stark hierarchischen Unternehmenskulturen ist Agilität nicht oder nur schwer umsetzbar. Wesentliche Werte sind: Offenheit, Mut zum kalkulierten Risiko, eigene Meinung vertreten, Transparenz der Leistung, Commitment zu exzellenten Leistungen für die Kunden, Unterstützung der Kolleginnen und Kollegen, Respekt, Vertrauen, Kommunikation und Feedback. Das Team und die Führungskraft achten immer wieder darauf, dass diese Werte konkret gelebt werden, geben sich dazu gegenseitig Feedback und schaffen ein konstruktives Leistungsklima, mit dem sich die Teammitglieder identifizieren.

Agile Teams brauchen Führung, aber anders. Der:Die Teamleiter:in oder Scrum Master:in arbeitet mehr am System, als im System und versteht sich als dienende Führungskraft. Er:Sie reflektiert „aus der Vogelperspektive“ die Zusammenarbeit und Leistungserbringung, verstärkt durch Lob und bringt durch kritische Fragen die Mitarbeiternden zum Nachdenken und zu Verbesserungen. Als Change Agent ist er:sie intensiv geschult und hilft bei der Umsetzung einer ständig verbesserten agilen Zusammenarbeit und Weiterentwicklung der Organisation. Er:Sie moderiert Besprechungen mit dem Kunden oder die täglichen Teammeetings, klärt aktuelle Arbeitshindernisse der Mitarbeitenden und gibt dem Team und Einzelpersonen Rückmeldungen zu deren selbstverantwortlichen Arbeitsweisen, damit diese noch besser werden. Er:Sie coacht Mitarbeitende in ihrer Effektivität und Bereitschaft Verantwortung zu übernehmen, klärt Konflikte und gibt Rückmeldung zur Umsetzung der Werte. Als Moderator:in pflegt er:sie das Kanban Board und achtet auf die Aktualität. Die Führungskraft betreibt ein aktives Stakeholdermanagement, hat evtl. noch die Budgetverantwortung und berichtet dem Topmanagement über die Ergebnisse des Teams.

Agile Zusammenarbeit ist kein Zaubermittel und braucht Wissen, Überzeugung, Zeit, Schulung und Geduld bei der Einführung. Diese ist teilweise „steinig“, wie jeder anspruchsvolle Changeprozesse. Bei guter Umsetzung sind z.B. agile Projekte erfolgreicher, als klassisches Projektmanagement. Durch das Arbeiten in wiederholenden Schleifen können kurzfristige Kundenwünsche besser berücksichtigt werden und schaffen eine höhere Zufriedenheit. Manche Unternehmen und Manager:innen werden es als Modetrend nutzen, um beim Hype dabei zu sein. Aus meinen bisherigen Erfahrungen bin ich überzeugt, dass diese Arbeitsweise in volatilen Märkten mit komplexen Produkten zu erheblichen Wettbewerbsvorteilen führt und die Arbeitsweise in vielen Unternehmen in den nächsten Jahren erfolgreich prägen wird.

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Über den:die Autor:in

Alois Summerer

Diplom-Sozialpädagoge. Langjährige Führungserfahrung als Leiter einer Bildungseinrichtung, systemische Ausbildungen. Ausbildung in agile Teamarbeit (Scrum), agiler Coach, Trainer und Berater für Vorstände, Geschäftsführer und zweite Führungsebene. Schwerpunkte: Führung, Change, Kommunikation, Team- und Organisationsentwicklung.

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