Interview: Neues Strategisches Management

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In immer dynamischeren und komplexeren Märkten steigen die Anforderungen an Unternehmen, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Wir sprechen mit unserem Trainer Walter Zornek, Unternehmensberater, Facilitator und Referent für Organisations- und Führungskräfteentwicklung, über die aktuellen Herausforderungen für Organisationen.

Haufe Akademie: Sie beschäftigen sich als Berater mit strategischem Management. Was bedeutet das in der heutigen Zeit mit ihrer hohen Veränderungsdynamik?

Walter Zornek: Ich erlebe zunehmend, dass in vielen Organisationen die bisherigen Konzepte strategischer Planung und Unternehmensführung hinterfragt werden. Generell bedeutet strategisches Management ja, das Vorgehen eines Unternehmens auf langfristigen Erfolg auszurichten. Daran hat sich nichts geändert. Allerdings erleben wir die Grenzen der traditionellen Konzepte und Modelle. Es braucht offensichtlich einen veränderten Umgang mit den Herausforderungen der Umwelt, die volatiler, unsicherer, komplexer und mehrdeutiger wird.

Haufe Akademie: Sie sprechen VUCA an. Aber standen Unternehmen nicht schon immer vor schwierigen Herausforderungen?

Walter Zornek: Das stimmt. Die Prämissen der alten Welt waren allerdings immer darauf ausgerichtet, dass Entwicklungen inkrementell und weitgehend linear verlaufen. Wir erfahren seit den 1990er-Jahren, spätestens aber seit Corona, dass Zukunft ganz anders als geplant verlaufen kann. Und wenn die Welt um uns herum immer mehr VUCA wird, dann lautet die neue strategische Kernkompetenz: Anpassungsfähigkeit.

Haufe Akademie: Was bedeutet das für das strategische Management einer Organisation?

Walter Zornek: Zunächst einmal ist es wichtig, den Blick auf die Zukunft zu verändern, Prognostizierbarkeit zu hinterfragen und das Unerwartbare zu erwarten. Der Nutzen detaillierter Analysen und Meilensteinplanungen nimmt stark ab, je weiter sie in die Zukunft gerichtet sind. Aber: Zukunft ist vorstellbar und vor allem gestaltbar. Ich kann mich an die Umstände anpassen und sie gleichzeitig bezogen auf meine strategischen Ziele nutzen. Dafür braucht es ein klares strategisches Leitbild, das Sinn, Zweck, Ausrichtung und Werte der Organisation beschreibt.

Haufe Akademie: Wie würden Sie das herausragende Merkmal dieses veränderten Verständnisses strategischen Managements beschreiben?

Walter Zornek: Der größte Unterschied gegenüber der tradierten Vorgehensweise liegt im strategischen Prozess. Statt eines sequenziellen, linearen Planungsprozesses, wo Strategieentwicklung und Strategieumsetzung getrennt verlaufen, gibt es einen iterativen Strategieprozess, in dem geplante und ungeplante Aktivitäten miteinander verflochten sind und so an sich schnell verändernde
Umfeldbedingungen angepasst werden. So werden Flexibilität, Kreativität und organisatorisches Lernen ermöglicht; Voraussetzungen für bessere Anpassungsfähigkeit an unerwartete und disruptive Ereignisse bei gleichzeitiger Wahrung der strategischen Intention und Zielrichtung.

Haufe Akademie: Was heißt das konkret?

Walter Zornek: Hier ein Beispiel: Ein mittelständisches Unternehmen plant klassisch strategisch über den Zeitraum von mehreren Monaten und setzt die Maßnahmen binnen 2-3 Jahren um. Seit Beginn der Umsetzung hat sich das Umfeld jedoch so dramatisch verändert, dass alle strategischen Planungen und Aktivitäten verworfen werden. Es wird ein Krisenmanagement-Team eingesetzt, das versucht, die schlimmsten Verwerfungen zu verhindern.

Haufe Akademie: Wie hätte dieses Szenario mit einem neuen strategischen Management ausgesehen?

Walter Zornek: Das Unternehmen hat zwischenzeitlich seine strategischen und operativen Prozesse verändert. Ein Strategieteam aus Geschäftsführung, Führungskräften und Mitarbeitenden
verschiedener Bereiche trifft sich alle drei Monate zu einem zweitägigen Strategiemeeting, um die aktuelle Strategie und die strategierelevanten Aktivitäten zu überprüfen. Wenn nötig, werden nach dem Prinzip „good enough for now“ Anpassungen vorgenommen, dem Grundsatz „save enough to try“ folgend legt man die Maßnahmen für die nächsten drei Monate fest. Durch diesen rollierenden Prozess lässt sich schnell nachjustieren und dennoch die Zielrichtung wahren.

Haufe Akademie: Das klingt nach agiler Arbeitsweise.

Walter Zornek: Ist es auch. Agilität zielt auf Flexibilität und Anpassungsfähigkeit in einem VUCA-Umfeld. Wie bei agilen Frameworks geht es auch bei dieser Form strategischen Managements um Handlungsspielräume für Zusammenarbeit, kontinuierliche Verbesserungen und Lernen innerhalb sehr klarer organisatorischer Rahmenbedingungen.

Haufe Akademie: Es braucht also auch neue Tools für neues strategisches Management?

Walter Zornek: Da es um die Navigation in unsicheren, komplexen Umfeldern geht, werden Tools für komplexe Problemstellungen benötigt. Fast das gesamte agile Toolset ist darauf ausgerichtet. Einiges, wie z. B. Kanban, OKR, Design Thinking oder Business Model Canvas, kennen viele bereits aus dem Umfeld von Produktentwicklung und Projektmanagement. Andere Tools wie Effectuation oder auch Konsent-Entscheidungsfindungen fangen gerade erst an, sich in klassischen Unternehmen zu etablieren. Viele dieser Komplexitätsbewältigungstools können sehr gut auf strategisches Management angepasst werden.

Haufe Akademie: Und mit den neuen Tools ist es dann getan?

Walter Zornek: Natürlich nicht! Wenn ich die Organisation, den Markt und das gesamte gesellschaftliche Umfeld als nicht berechenbar, steuerbar und prognostizierbar bewerte, greifen die klassischen Sichtweisen und tradierten Prämissen für Entscheidungen nicht mehr. Dann brauchen wir andere Grundsätze und Werte.

Grundsätze und Werte neuen strategischen Managements

  • Mehr Ausrichtung und Leadership statt Prognosen und Top-Down-Vorgaben: Eine klare strategische Richtung, einbeziehende Arbeit und Kommunikation, Spielregeln, Selbstverantwortung, passendes Ressourcenmanagement und Handlungsorientierung mit inkrementell-iterativem Vorgehen, das herausfordernd, anregend und realistisch ist.
  • Mehr fokussierte Analyse und kollektive Intuition statt Tool-Orientierung und simplifizierter Komplexitätsreduktion: Analysen in der Breite und Tiefe begrenzen, Kreativität und Intuition der Beteiligten, Bauchgefühle, Nichtwissen und blinde Flecken als eine wichtige Ressource im Umgang mit Komplexität bewusst machen, analytische Unentscheidbarkeit nutzen.
  • Mehr packende Leitbild- und Strategie-Erzählungen statt restriktive Handlungsrahmen und viele Fact-Sheets: Das Beschreiben der Reise in eine erfolgreiche Zukunft als narrative Vergegenwärtigung, die positive Emotionen weckt, einfacher zu verstehen und zu erinnern ist sowie ein WHY vermittelt.
  • Mehr zukünftige Gegenwart statt Fortschreibung der Vergangenheit: Bilder und Szenarien von der Zukunft und ihren Potentialen entwickeln (mit erwünschten und unerwünschten Zuständen), um aus der zukünftigen Gegenwart Rückschlüsse für aktuelles strategisches Handeln zu ziehen.
  • Mehr Ausprobieren und kontinuierliches Lernen statt Effizienzorientierung und Null-Fehler-Vorgehen: Den iterativ-verknüpften Prozess von Strategieentwicklung und – umsetzung als explorative Lernschleife begreifen, in der Denk- und Handlungsprozesse regelmäßig hinterfragt werden und Raum für Ausprobieren und Improvisation entsteht.

Haufe Akademie: Das hört sich an, als bräuchte neues strategisches Management auch eine spezifische Kultur.

Walter Zornek: Klassisch sind zwei Szenarien: Entweder die Organisation initiiert einen strategischen Wandel – dafür braucht es ein neues Bewusstsein und Verständnis für Strategieentwicklung und -umsetzung – oder eine Krisensituation zwingt zum Umdenken und zur Anpassung des strategischen Vorgehens über die Krisenbewältigung hinaus. Ersteres ist sinnvoller, wird häufig jedoch leider halbherzig und nicht tiefgreifend genug angegangen, da der Grund dafür nicht ausreichend verstanden und vermittelt wird. Letzteres ist meist mit harten Einschnitten und schmerzhaften Erfahrungen verbunden, was jedoch den Handlungsdruck erhöht und zur Erkenntnis führt, dass das bisherige Vorgehen nicht tragfähig ist.

Haufe Akademie: Was ist Ihre Empfehlung an Führungskräfte?

Walter Zornek: Entwickelt im ersten Schritt immer die positiv-narrative Ausgestaltung der Strategie und des dazugehörigen „Why“. Die Erzählung sollte sehr spezifisch sein und nicht länger als 3 Minuten dauern. Darauf aufbauend können dann die organisationale Entwicklung im Miteinander und den Prozessen erfolgen, für die es jedoch Geduld braucht. Ich erlebe es immer wieder, dass Erneuerung mit einer klaren Botschaft des „Wozu das alles?“ Spaß macht und neue Wege sehr leidenschaftlich und wirkungsvoll gegangen werden. Gemeinsam und mit Freude an einer besseren und erfolgreichen Zukunft zu arbeiten – wer schätzt das nicht? Neues strategisches Management kann die Basis dafür sein.

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Über den:die Autor:in

Walter Zornek

Arbeitet als Unternehmensberater, Facilitator und Referent für Organisations- und Führungskräfteentwicklung und als langjährige Führungskraft in der digitalen Industrie.

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