Während die Internationalisierung der Unternehmenstätigkeit voranschreitet, stellt die notwendige Führungskräftequalifizierung noch ein vielfältiges Entwicklungsfeld dar. Es gilt, sich vom Leitbild des Globalen Managers zu lösen und neue Lernarchitekturen zu entwickeln.
Die weltwirtschaftlichen Veränderungen der vergangenen Jahrzehnte sind sowohl auf volkswirtschaftlicher als auch auf Unternehmensebene offensichtlich. Zwar hat Deutschland relativ betrachtet Weltmarktanteile eingebüßt, dennoch ist es ein klarer Globalisierungsgewinner. In absoluten Zahlen konnte Deutschland die industrielle Wertschöpfung zwischen 1995 und 2013 um 45 Prozent steigern und insbesondere vom Europäischen Binnenmarkt und der Entwicklung in Schwellenländern profitieren.
Im Zuge der Internationalisierung der Unternehmenstätigkeit werden nicht nur Produktionstätigkeiten, sondern zunehmend auch andere Aktivitäten der Wertschöpfungskette, wie Forschung & Entwicklung, ins Ausland verlagert. Selbst wenn die derzeitige weltwirtschaftliche Unsicherheit diesen Trend verlangsamt, so ist insgesamt von einem weiteren Wachstum von Exporten und Direktinvestitionen sowie insbesondere einem Ausbau der Auslandsstandorte auszugehen.
Die erfolgreiche Umsetzung dieser internationalen Expansion stellt vielfältige Herausforderungen an die Personalarbeit. Sie verlangt vor allem ein Umdenken von der reaktiven Unterstützungshaltung zur proaktiven Ermöglichung, soll der Weg ins Ausland nicht an personellen Fragen scheitern. Gleichzeitig entstehen neue Spannungsfelder im Kontext von Integration und Differenzierung bzw. Kontrolle und Autonomie. So steht dem strategischen Ziel einer einheitlichen globalen Ausrichtung regelmäßig die operative Notwendigkeit der lokalen Anpassung gegenüber, wenn Richtlinien und Standards der zentralen Personalabteilung mit nationalen Gegebenheiten kollidieren (vgl. Schwuchow 2015).

Buch HR-Trends 2019
Zusammen mit Joachim Gutmann ist Professor Schwuchow Herausgeber des Buches „HR-Trends 2019”.
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Den aktuellen Handlungsbedarf zeigt eine Studie des Beratungsunternehmens DDI (2015): 68 Prozent der in 2.000 Unternehmen in 48 Ländern befragten Führungskräfte planen eine internationale Expansion, aber nur 22 Prozent sehen ihr Unternehmen als hierfür gut vorbereitet an. 41 Prozent halten sich selbst für effektiv, wenn es um unterschiedliche Länder und Kulturen geht, wobei Selbstbild und Fremdwahrnehmung hier zweifelsohne divergieren.
Zwar werden der globalen Führungskräfteentwicklung und die Nachfolgeplanung regelmäßig höchste Priorität eingeräumt. In der praktischen Umsetzung scheitert dies jedoch häufig bereits an der Frage nach den tatsächlichen Anforderungen an Fach- und Führungskräfte in weltweit tätigen Unternehmen.
Transnationale Führungsmodelle und Führungskräfteentwicklung
Die transnationale Organisation verändert nicht nur die Anforderungen an die Personalarbeit. Sie erfordert auch neue Denk- und Handlungsmuster, wenn es um die Differenzierung zwischen national und global tätigen Fach- und Führungskräften geht. Allerdings ist das Verständnis von globaler
Führung ebenso vielfältig wie diffus. Eine erste Orientierung vermitteln sieben Bestimmungsgrößen, die von Pless, Maak und Stahl (2011) definiert wurden:
- ein breiterer Kontext von Diversität,
- das Überschreiten nationaler und organisatorischer Grenzen,
- ein umfassenderer Wissensbedarf,
- mehr Stakeholder im Entscheidungsprozess,
- größere Spannungsverhältnisse im
- beruflichen Handeln,
- stärkere Ambiguität bei Entscheidungen und Ergebnissen,
- mehr ethische Dilemmata.
Dabei ist globale Führung kein Thema allein für Expatriates, sondern für Fach- und Führungskräfte in allen Bereichen und auf allen Ebenen relevant. Ob Mitarbeiter mit Migrationshintergrund, Kunden und Lieferanten aus unterschiedlichen Ländern – der internationale Bezug und die damit verbundenen Anforderungen sind allgegenwärtig.
Bislang trägt die betriebliche Aus- und Weiterbildung der Komplexität transnationalen Handelns kaum Rechnung. Interkulturelles Wissen wird standardisiert und undifferenziert vermittelt. Dem eigentlichen Führungsprozess und den damit verbundenen unterschiedlichen kulturellen Hintergründen und Erwartungen hinsichtlich Hierarchie, Macht und Beziehungen wird wenig Bedeutung beigemessen. Auch dominieren das westliche Denken und die damit verbundenen Werte und Vorstellungen.
Die unterschiedlichen Annahmen zur globalen Führungskräfteentwicklung lassen sich wie folgt zusammenfassen (vgl. Steers/Sanchez-Runde/Nardon 2012):
- Universell: Anknüpfend an die durch Henri Fayol und die klassische Managementlehre geprägte universelle Denkhaltung wird unterstellt, dass Führungsprozesse auch über Kulturkreise hinweg relativ einheitlich umgesetzt werden können. Die Führungskräfteentwicklung fokussiert, jenseits einer situativen Ausrichtung, auf bestimmte Schlüsselfaktoren erfolgreicher Führung.
- Normativ: Im Sinne einer normativen Denkhaltung liegt der Fokus auf bestimmten Eigenschaften und Fähigkeiten, die effektive globale Führungskräfte kennzeichnen: Ziel ist ein „global mindset”, der es ermöglicht, überall auf der Welt wirksam zu führen.
- Situativ: Die Führungskraft wird als lokaler Manager gesehen. Es gibt keine universellen Prinzipien wirksamer Führung. Führung versteht sich als ein in einen kulturellen Kontext eingebundener Prozess, nicht als eine Reihe persönlicher Eigenschaften von Führungskräften und Mitarbeitern.
Die interkulturelle Herausforderung
Die kulturspezifischen Unterschiede unterstreicht auch eine weltweit durchgeführte Untersuchung der Fähigkeiten von 1.500 oberen Führungskräften. Die daraus abgeleiteten Handlungsempfehlungen für Führungskräfte und Mitarbeiter implizieren z. B. für europäische Führungskräfte mehr Flexibilität und Handlungsorientierung, während nordamerikanischen Managern zu weniger Aktionismus und mehr Zeit zum Zuhören geraten wird (vgl. Bains 2015).
Insgesamt bleibt die Frage, wie Führungskräfteentwicklungsprogramme effektiv in unterschiedlichen Weltregionen umgesetzt werden und in gleicher Weise individuelle und unternehmerische Bedürfnisse sowie den kulturellen Kontext berücksichtigen können. Auch ein mögliches Spannungsverhältnis zwischen Unternehmens- und Landeskultur sollte dabei nicht außer Acht bleiben.
Die Balance zwischen global und lokal und die Integration unterschiedlicher Perspektiven in den Managementprozess prägen das transnationale Denken. Ziel ist zum einen die Effizienz und Wettbewerbsfähigkeit auf globaler Ebene, zum anderen Flexibilität und Reaktionsvermögen auf nationaler Ebene.
Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird im Beitrag auf die gleichzeitige Verwendung weiblicher und männlicher Sprachformen verzichtet und das generische Maskulinum verwendet. Sämtliche Personenbezeichnungen gelten selbstverständlich gleichermaßen für beide Geschlechter.