Wer Überstunden macht, hat normalerweise einen Anspruch darauf, dass diese extra bezahlt werden oder ein Freizeitausgleich stattfindet. Oft finden sich in Arbeits- oder Tarifverträgen oder Betriebsvereinbarungen Klauseln, in denen eine (pauschale) Abgeltung der Überstunden geregelt ist. Solche Vertragsklauseln sind zwar grundsätzlich erlaubt, die Formulierung der Betriebsvereinbarung muss aber bestimmte Kriterien erfüllen, damit die Klausel wirksam ist. Nicht immer halten die Klauseln einer rechtlichen Überprüfung Stand, wie ein aktuelles Urteil des Bundesarbeitsgerichts beweist.
Vergütung oder Freizeitausgleich?
In dem Fall vor dem Bundesarbeitsgericht ging es um einen Rechtsstreit zwischen der Gewerkschaft ver.di und einem dort angestellten Gewerkschaftssekretär. Für das Arbeitsverhältnis gilt die 35-Stunden-Woche. Es wurde Vertrauensarbeitszeit vereinbart, das heißt der Mitarbeiter kann über Beginn und Ende der Arbeitszeit grundsätzlich selbst entscheiden. In den „Allgemeinen Arbeitsbedingungen für die ver.di-Beschäftigten” ist vereinbart, dass Gewerkschaftssekretär:innen, die „regelmäßig Mehrarbeit” leisten, einen Freizeitausgleich in Form von neun freien Arbeitstage im Kalenderjahr bekommen. Die übrigen Beschäftigten haben für jede geleistete Überstunde Anspruch auf einen Freizeitausgleich von einer Stunde und achtzehn Minuten (= 30 % Überstundenzuschlag) bzw. auf eine entsprechende Überstundenvergütung.
Der Gewerkschaftssekretär hatte aufgrund der Mitarbeit in einem Projekt Überstunden gemacht und forderte dafür eine Extra-Bezahlung in Höhe von 9.345,84 EUR brutto. Sein Arbeitgeber war der Ansicht, sämtliche Überstunden des Mitarbeiters seien mit den vereinbarten neun Ausgleichstagen abgegolten.
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Wie das BAG entschieden hat
Nachdem die Klage in den Vorinstanzen noch abgewiesen worden war, hatte der Gewerkschaftsmitarbeiter mit seiner Klage in der Revisionsverhandlung vor dem Bundesarbeitsgericht Erfolg (BAG, Urteil vom 26.06.2019, Az. 5 AZR 452/18). Nach Auffassung des BAG ist die Regelung bei ver.di teilweise unwirksam, soweit sie für bestimmte Gewerkschaftssekretäre eine Pauschalvergütung von Überstunden vorsieht. Der Anwendungsbereich der Norm verstoße mit der Voraussetzung „regelmäßiger Mehrarbeit“ gegen das Gebot der Normenklarheit, weil für die Beschäftigten nicht hinreichend klar ersichtlich ist, in welchem Fall eine solche anzunehmen ist und in welchem Fall nicht. Außerdem genügt die Regelung nach Ansicht des BAG nicht dem betriebsverfassungsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz. Eine wie auch immer geartete „Regelmäßigkeit“ von Überstunden sei kein taugliches Differenzierungskriterium dafür, ob die Überstundenvergütung pauschaliert oder nach den tatsächlich geleisteten Überstunden gezahlt wird.
Dementsprechend bejahte das BAG einen Anspruch des Klägers auf Vergütung der Überstunden – zuzüglich des in der Gesamtbetriebsvereinbarung vorgesehenen Zuschlags von 30 %. Über die konkrete Höhe der dem Kläger noch zustehenden Vergütung konnte das BAG anhand der bisher getroffenen Feststellungen nicht entscheiden und hat deshalb die Sache an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.
Für AGB-Klauseln gilt das Transparenzgebot
Zu beachten: Wenn es sich – wie in der Praxis häufig – um einen vorformulierten Standardarbeitsvertrag handelt, gelten besonders hohe Anforderungen an die Wirksamkeit der darin enthaltenen Klauseln. Der Grund: Die Klauseln in einem Standardarbeitsvertrag sind an den Vorschriften für Allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB) zu messen. Sie unterliegen der Inhaltskontrolle bzw. dem Transparenzgebot gemäß § 307 BGB. Das bedeutet: Eine AGB-Klausel ist unwirksam, wenn sie nicht klar und verständlich formuliert ist. Nach einem Urteil des Bundesarbeitsgerichts genügt eine Klausel, wonach „erforderliche Überstunden“ mit dem Monatsgehalt abgegolten sind, nicht dem Transparenzgebot (BAG, Urteil vom 01.09.2010, Az. 5 AZR 517/09). Bei einer solchen Formulierung ist für den:die Arbeitnehmer:in nicht klar vorhersehbar, in welchem Umfang Überstunden anfallen können.
Mögliche Rechtsgrundlagen für die Überstundenvergütung
Der Anspruch auf Überstundenvergütung kann sich entweder aus einer vertraglichen Vereinbarung ergeben oder aber aus dem Gesetz: Gemäß § 612 Abs. 1 BGB gilt eine Vergütung als stillschweigend vereinbart, wenn die Dienstleistung den Umständen nach nur gegen eine Überstundenvergütung zu erwarten ist. Eine derartige Vergütungserwartung ist nach einem Urteil des Bundesarbeitsgerichts bei Überstunden regelmäßig gegeben, wenn der:die Arbeitnehmer:in kein herausgehobenes Entgelt bezieht (BAG, Urteil vom 22.02.2012, Az. 5 AZR 765/10).
Fazit: Bei einer Vertragsklausel zur Abgeltung von Überstunden (z. B. in einer Betriebsvereinbarung) muss für den:die Arbeitnehmer:in von vornherein erkennbar sein, wie viele Überstunden er gegebenenfalls leisten muss und wie diese vergütet bzw. ausgeglichen werden. Besondere Vorsicht ist geboten, wenn es sich um einen vorformulierten Standardarbeitsvertrag handelt. Denn die Klauseln in einem vorformulierten Standardarbeitsvertrag sind an den AGB-Vorschriften zu messen. Es gilt dann das Transparenzgebot gemäß § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB.