Stressprävention – gesund bleiben!

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Ein schnell eingeschobener Wellness-Urlaub, Fitness-Training oder ernst gemeinte Hilfsangebote der Personalentwicklung wie z. B. Kommunikationstrainings können, richtig eingesetzt, Gutes bewirken. Damit werden aber in aller Regel nur Symptome bekämpft.

Chronischen Stress oder gar einen Burnout-Prozess auf z. B. die Herausforderungen der Digitalisierung, ein schlechtes Arbeitsklima oder auf eine Art paranoider Identifzierung der Leistungsideologie, ganz nach dem Motto „Nur der Tüchtige überlebt”, zurückzuführen, ist zwar populär, doch blanker Reduktionismus. Es mag zwar sein, dass der Stressreport Deutschland 2012 und die Novellierung des Arbeitsschutzgesetzes so manche Personalverantwortliche und Personalentwickler:innen wach gerüttelt haben, doch allein mit der gesetzlichen Verpflichtung, psychische Belastung zu messen, wird man diese nicht verringern.

Stress Marke „Eigenbau” demotiviert systematisch und reduziert das Erleben von Sinn am Arbeitsplatz

Die biologische Reaktion auf Belastungen (Stressoren) ist von Person zu Person unterschiedlich. Entscheidend für die psychische und physische Reaktion auf eine äußere Situation (z. B. Teamkonflikte, herablassendes Auftreten von Kolleg:innen oder Führungspersonen ist nicht die „objektive Lage”, sondern vielmehr die subjektive Bewertung durch die Psyche.

Vereinfacht ausgedrückt handelt es sich dabei um den Stress Marke „Eigenbau“, um selbst verursachten Druck, der auf verinnerlichte Denk-, Fühl- und Verhaltensmuster zurückzuführen ist Diese sind persönlichkeitsbedingt und vermindern tendenziell das Selbstwertgefühl.

In Situationen, wo Menschen unbewusst ihr Selbstwertgefühl bedroht sehen, fühlen sie sich abgewertet, überfordert und jagen dann einem überzogenen Ideal-Ich nach: „Man” muss jetzt Stärke zeigen, alles richtig machen, jedem entgegenkommen, damit „man“ akzeptiert wird, „man” darf keine Zeit verlieren und vor allem – „man” muss das Beste geben. Das erzeugt nicht nur Druck, sondern demotiviert systematisch.

Nur wenige Führungspersonen wissen hierüber, weil sie selber oft von diesem Stress Marke „Eigenbau” getrieben sind und diesen als normal erleben. Ja noch mehr: Stressverstärker werden noch als „motivierend” erlebt. So ist es nicht verwunderlich, dass einerseits unwissenschaftlich behauptet wird, dass Stress gesund sei und andererseits regelmäßig auf Studien hingewiesen wird, die belegen sollen, dass Stress im Arbeitsleben konstant ansteigt.

Aus fachlicher Sicht sind Bedenken gerechtfertigt. Praxisorientierte Analysen (N = ca. 2.000)1 belegen: Die meisten Befragten, zwischen 70 und 80 Prozent, verspüren natürlich Stress, können damit aber in der Regel situationsangepasst umgehen. Bei etwa 15 bis 20 Prozent ist die Beanspruchung durch Stress eindeutig stärker ausgeprägt, sodass ein arbeitspsychologisch fundiertes Persönlichkeits-Coaching notwendig wäre. Bei ca. 5 bis 10 Prozent sind die persönlichkeitsbedingten, stressfördernden Denk-, Fühl- und Verhaltensmuster aber so dominant, dass auch gut durchdachte organisatorische Maßnahmen auf der Verhältnisebene (Organisationsablauf, Schnittstellenproblematik) nicht mehr ausreichen, damit diese Mitarbeiter:innen das Gefühl haben, weniger Stress zu spüren.

Wir sind so sehr auf ein Sinnerleben ausgerichtet, dass wir etwas nicht wollen, wenn wir darin keinen Sinn sehen

Um diese Stressmuster („Autobahnen”) erkennen zu können, reicht es nicht mehr aus, „nur” die (äußeren) Belastungen zu messen, sondern es müssen die individuelle (subjektive) Beanspruchung und deren Auswirkungen erkannt werden. Unweigerlich steht jetzt die Frage im Raum, was wohl einer der mächtigsten Protektoren gegen chronischen Stress ist.

Sinn in der Arbeit reduziert chronischen Stress und ist die Grundlage für betriebswirtschaftlichen Erfolg

Bewusst und unbewusst werden wir Menschen von der Sinnfrage begleitet. Wir sind so sehr auf ein Sinnerleben ausgerichtet, dass wir etwas nicht wollen, wenn wir darin keinen Sinn sehen. Sinn ist etwas so Tiefliegendes, dass er erst zum Problem wird, wenn er verloren gegangen ist. Die Folgen kennen wir nur allzu gut: Menschen müssen dann bewegt, „motiviert” oder gar gezwungen werden, damit sie ihr Soll erfüllen.

Wissenschaftlich ist belegt: Sinnorientierte (motivierende) Arbeit hat psychosozialen, gesundheitserhaltenden und gesundheitsfördernden (salutogenen) Charakter. Betriebliche Gesundheitsförderung erhöht die Leistungsbereitschaft und Leistungsfähigkeit von Mitarbeiter:innen, da sie psychische Belastungen und Beschwerden reduziert und die Zufriedenheit und Motivation der Mitarbeiter:innen fördert.²

Sinn kann aber durch Führungskräfte nicht einfach verordnet werden. Daher müssen sich Personalverantwortliche auf die Frage konzentrieren, wie das Arbeitsumfeld und das soziale Miteinander gestaltet werden können, damit die Mitarbeiter:innen möglichst viele Gelegenheiten vorhanden, sinnstiftende Werte für sich zu entdecken oder auszuleben. Aus der Sicht des Personal- und Organisationsmanagements geschieht dies auf drei Ebenen:

  1. Sinnfindung in der Arbeitsaufgabe: Was kann ich? Was mag ich? Was darf ich? Was will ich?
  2. Sinnfindung durch Für- und Miteinander am Arbeitsplatz: Was erlebe ich? Wie erlebe ich mich?
  3. Sinnfindung durch Veränderung der Einstellungen: Wie reagiere ich auf Situationen, die kaum oder nicht veränderbar sind?

Um das Arbeitsumfeld und das soziale Miteinander für die Mitarbeitenden sinnstiftend und stressfrei gestalten zu können, sollte jede mitarbeitende Person seine persönlichen, subjektiven Stressoren und Stressmuster kennen, um diese auch konkret zu äußern. Eine Anforderung, die sich besonders schwierig gestaltet, fährt man doch selbst auf der Stressautobahn, die man untersuchen sollte. Wie sinnvoll erleben Ihre Mitarbeiter:innen, wie sinnvoll erleben Sie Ihre Arbeit? Wissen Ihre Mitarbeiter:innen, wissen Sie, wie sich Ihre individuellen Belastungen auf die psychische Gesundheit auswirken? Kennen Sie Ihren Stress Marke „Eigenbau”? …und vor allem: Was hält Sie oder Ihre Mitarbeitenden gesund? Aufschluss über diese Fragen bringen z. B. wissenschaftliche online Testverfahren. Arbeitspsychologische Analyseverfahren, durch die für einzelne Mitarbeitende die Möglichkeit besteht, versteckte Entwicklungspotenziale, aber auch Quellen der seelischen Beanspruchung objektiv und vertraulich, ausschließlich für sich, sichtbar zu machen. Er weiß, welche Themen er angehen sollte und wo Veränderung sinnvoll ist.

Anonymisiert können arbeitspsychologische Analyseverfahren Aufschluss über die Stressbelastung in gesamten Abteilungen oder den Sinnkoeffizient in der Abteilung geben. Das Ergebnis bleibt anonymisiert, der Handlungsbedarf aber kann für HR oder die Führungsebene aufgezeigt werden. So können einzelne Mitarbeiter:innen, können ganze Abteilungen, Stress wirkungsvoll vorbeugen oder reduzieren. Sie bleiben gesund und tragen eigenverantwortlich dazu bei, dass Vorhaben erfolgreicher umgesetzt und zwischenmenschliche Beziehungen am Arbeitsplatz vertieft werden.

¹Graf, H. und Grote, V. (2013), Prä-Post-Evaluierungen von arbeitspsychologisch-intrapsychischen Interventionen bei Führungspersonen im Rahmen von BGM-Projekten – unveröffentlicht, logo consult GmbH.

²Graf, H. und Grote, V. (2003), Studie Betriebliche Gesundheitsförderung als Personal- und Organisationsentwicklung in Klein- und Mittelunternehmen. Fonds Gesundes Österreich (www.fgoe.org).

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Über den:die Autor:in

Sandra Jettkandt

HR-Expertin und langjährige Erfahrung als Produktmanagerin für Personalmanagement der Haufe Akademie.

Über den:die Autor:in

Dr. Helmut Graf

ist Psychotherapeut, Arbeitspsychologe, Klinischer Psychologe und Unternehmensberater. Seine Tätigkeitsschwerpunkte umfassen das Betriebliche Gesundheitsmanagement, Stress- und Burnout-Prävention sowie Persönlichkeitscoaching.

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