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Agile Strategieumsetzung im Vertrieb

Das Experteninterview über OKR als Gamechanger

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In diesem spannenden Talk spricht Rainer M. Grethel (Produktmanager bei der Haufe Akademie) mit Vertriebsexperte Tobias Bobka und Prof. David Tan („Mr. OKR“) über die enorme Wirkung von Objectives & Key Results (OKR) in modernen Vertriebsorganisationen. Gemeinsam zeigen sie, wie dieses Führungs- und Steuerungssystem frischen Wind in den Vertriebsalltag bringt.

Rainer M. Grethel: Herr Bobka, Herr Professor Tan, herzlich Willkommen zu unserem Talk zum Thema „Agile Strategieumsetzung im Vertrieb mit OKR“. Beginnen wir mit einem Zitat von Peter Drucker: „Strategie ohne Umsetzung ist nur eine Illusion.“ Wie oft haben Ihre Klientinnen und Klienten in den letzten drei Jahren die gesteckten Vertriebsziele denn tatsächlich erreicht?

Herr Bobka: Das ist eine schmerzhafte Frage, die ich in meinen Trainings oft stelle. Die ehrliche Antwort? Etwa 70 % der Unternehmen, mit denen ich arbeite, verfehlen ihre ursprünglich festgelegten Vertriebsziele. Nicht, weil die Strategien schlecht wären, oft sind sie sogar brillant. Das Problem liegt in der berühmten „Strategielücke“, dem Abgrund zwischen glanzvollen PowerPoint-Präsentationen und der rauen Realität des Vertriebsalltags.

Prof. Tan: Diese Beobachtung deckt sich mit unseren Forschungsergebnissen. Aktuelle Erhebungen verraten, dass 95 % der Mitarbeitenden die eigene Unternehmensstrategie nicht kennen oder nicht verstehen. Im Vertrieb ist das besonders fatal, weil hier jeder einzelne Kundenkontakt strategische Relevanz hat. OKR löst genau dieses Problem. Es übersetzt die Vision in Aktion.


Rainer M. Grethel: Das klingt dramatisch, aber warum scheitern denn so viele Unternehmen gerade im Vertrieb bei der Strategieumsetzung?

Prof. Tan: Die Antwort liegt in dem, was Wirtschaftswissenschaftler:innen als „VUCA-Welt“ bezeichnen – volatil, unberechenbar, komplex und mehrdeutig. Der Vertrieb steht in dieser Transformation ganz vorne. Während das Management noch die Balanced Scorecard vom letzten Geschäftsjahr analysiert, hat sich der Markt bereits dreimal gedreht.

Herr Bobka: Hinzu kommt das, was ich den „Meeting-Marathon-Effekt“ nenne: Endlose Strategiemeetings produzieren zwar viele Folien, aber wenig Klarheit. Ich erlebe häufig Vertriebsleiter:innen, die erzählen: „Wir haben 47 strategische Initiativen für dieses Jahr.“ Meine Antwort? „Dann haben Sie null strategische Initiativen.“

Prof. Tan: Genau das adressiert OKR fundamental anders. Die Praxis zeigt: Unternehmen mit agilen Management-Tools handeln bis zu fünfmal erfolgreicher als traditionell organisierte Betriebe. Der Grund: Fokus statt Verzettelung.

Rainer M. Grethel: Bevor wir tiefer einsteigen, können Sie OKR einmal in einfachen Worten erklären?

Herr Bobka: Stellen Sie sich vor, Sie wären ein Pirat auf Schatzsuche. Ihr Objective wäre: „Den wertvollsten Schatz der Karibik bis Weihnachten finden“. Ihre Key Results könnten sein: „5 vielversprechende Inseln erkunden“, „3 Schatzkarten entschlüsseln“ und „Crew-Motivation über 80 % halten“. So einfach ist OKR: Ein inspirierendes Ziel mit messbaren Meilensteinen.

Prof. Tan: Das ist eine sehr anschauliche Erklärung! Wissenschaftlich ausgedrückt: OKR ist ein agiles Management-Framework, das qualitative Ziele (Objectives) mit quantifizierbaren Ergebnissen (Key Results) verknüpft. Ursprünglich von Intel entwickelt, perfektioniert von Google, und heute der Goldstandard für agile Strategieumsetzung.


Rainer M. Grethel: Wie unterscheidet sich OKR von anderen Managementmethoden, die wir aus dem Vertrieb kennen?

Prof. Tan: Exzellente Frage! Lassen Sie mich das systematisch erläutern: Während Hoshin Kanri und Balanced Scorecard auf langfristige, hierarchische Planung setzen, bringt OKR deutlich mehr Agilität. OKRs werden quartalsweise festgelegt – perfekt für die Dynamik im Vertrieb.

Herr Bobka: Was mich besonders begeistert: Im Gegensatz zu Management by Objectives, wo starre Zielvorgaben von oben kommen, entstehen OKRs im Dialog. Das Team wird zum Co-Pilot der Strategie, nicht zum passiven Empfänger von Befehlen. Das verändert alles – Motivation, Ownership, Umsetzungsgeschwindigkeit.

Prof. Tan: Hinzu kommt die intelligente Balance zwischen Ambition und Realismus. Während traditionelle KPIs oft auf 100%iger Zielerreichung basieren, arbeitet OKR mit zwei Konzepten: „Roofshot Goals“ – verbindliche 100% Ziele. Und „Moonshot Goals“ – ambitionierte Stretch-Ziele, bei denen bereits 60 bis 70 % Erreichung als Erfolg gelten.

Herr Bobka: Das „Moonshot-Konzept“ ist revolutionär für den Vertrieb. Statt „Sicherheit first“ ermutigt es zu innovativem Denken. Wenn ich als Ziel vorgebe: „Kundenbindung verzehnfachen statt um 10 % steigern“, sucht mein Team automatisch nach disruptiven Lösungen, anstatt lediglich die Arbeitsintensität zu steigern.


Rainer M. Grethel: Das klingt theoretisch überzeugend, aber wie sieht das praktisch aus? Können Sie uns ein konkretes Beispiel geben?

Herr Bobka: Sehr gerne. Ein mittelständisches Technologieunternehmen aus Baden-Württemberg kam zu mir mit dem Problem: „Wir verlieren zu viele Bestandskundinnen und -kunden an die Konkurrenz.“ Der bisherige Ansatz? Eine 20-seitige Kundenbindungsstrategie mit 15 verschiedenen Maßnahmen.

Wir haben das radikal vereinfacht: Objective: „Kundenloyalität durch exzellenten Service nachhaltig stärken bis Q2 2025.“

Key Results:

  1. Net Promoter Score von 45 auf 75 steigern
  2. Reaktionszeit im Kundensupport auf unter 2 Stunden reduzieren
  3. Anteil wiederkehrender Kundschaft um 25 % erhöhen

Prof. Tan: Dieses Beispiel illustriert perfekt drei OKR-Prinzipien: Erstens, das Objective ist qualitativ und inspirierend formuliert. Zweitens, die Key Results sind SMART und messbar. Drittens – und das ist entscheidend – die Zielerreichung erforderte cross-funktionale Zusammenarbeit zwischen Vertrieb, IT und Kundenservice.

Herr Bobka: Das Ergebnis nach drei Monaten: Der NPS stieg auf 72, die Reaktionszeit verkürzte sich auf 1,8 Stunden und die Wiederkaufsrate erlangte ein Plus von 28 %. Aber das Wichtigste: Das Team arbeitete plötzlich wie ein Organismus, nicht wie drei separate Abteilungen. Das ist der wahre OKR-Effekt.


Rainer M. Grethel: Das ist beeindruckend. Und welche besonderen Herausforderungen bringt die OKR-Einführung im Vertrieb denn mit sich?

Prof. Tan: Der Vertrieb ist ein Paradox: Einerseits natürlich agil, andererseits strukturell individualistisch. Vertriebsmitarbeitende sind gewohnt, an ihrer persönlichen Performance gemessen zu werden – Provisionen, Einzelziele, Ranglisten. OKR erfordert aber Teamdenken.

Herr Bobka: Ich nenne das den „Einzelkämpfer-versus-Teamplayer-Konflikt“. In meinen Workshops erlebe ich oft Widerstand: „Warum soll ich helfen, wenn der oder die andere dadurch besser wird als ich?“ Die Lösung? Intelligent designed Incentives. Wir gestalten Belohnungssysteme um: 60 % individuelle Performance, 40 % Teamerfolg bei OKR-Zielen.

Prof. Tan: Eine weitere Herausforderung ist die Unterscheidung zwischen KPIs und Key Results. Viele Teams verwechseln das. Ein KPI misst die laufende Performance, z.B. den Monatsumsatz. Ein Key Result misst den strategischen Fortschritt, z.B.: „Umsatz im Segment X um 20 % steigern zur Erreichung der Marktführerschaft.“

Herr Bobka: Genau! Ich sage den Teilnehmer und Teilnehmerinnen immer: „KPIs sind wie der Tacho in Ihrem Auto. Sie zeigen, wie schnell Sie fahren. Key Results sind das Navi. Sie zeigen, ob Sie in die richtige Richtung fahren.“


Rainer M. Grethel: Lassen Sie uns über erfolgreiche Praxisbeispiele sprechen. Welche Unternehmen setzen OKR im Vertrieb besonders erfolgreich ein?

Prof. Tan: Google ist natürlich der Klassiker. Seit 1999 durchgängig OKR, heute mit über 135.000 Mitarbeitenden. Was viele nicht wissen: Google legt besonders großen Wert auf transparente OKRs. Jeder Mitarbeitende kann die Ziele seiner Kolleginnen und Kollegen einsehen. Das schafft unglaubliche Synergieeffekte.

Herr Bobka: Was mich bei Google fasziniert: Sie setzen bewusst auf 70 % Zielerreichung bei Stretch Goals. Larry Page sagte einmal: „Wenn wir nicht ab und zu scheitern, sind unsere Ziele nicht ambitioniert genug.“ Diese Fehlerkultur ist für deutsche Vertriebsorganisationen oft revolutionär.

Prof. Tan: LinkedIn ist für den Bereich Vertrieb ein noch besseres Beispiel. Unter Jeff Weiner führte das Unternehmen OKRs ein, um Sales-, Marketing- und Produktteams zu synchronisieren. Das Ergebnis: Eine Bewertung von 26 Milliarden Dollar bei der Microsoft-Übernahme – ein Erfolg, der maßgeblich auf die OKR-basierte Strategieumsetzung zurückgeführt werden kann.

Herr Bobka: Bei LinkedIn gab es einen interessanten Nebeneffekt: Durch die OKR-Transparenz entstanden spontane, teamübergreifende Initiativen. Sales-Mitarbeitende entwickelten gemeinsam mit Product-Teams neue Features, weil sie dieselben strategischen Ziele verfolgten. Das ist ein echter „organisational flow“.

Prof. Tan: Auch Nike nutzt global OKRs für Vertriebsstrategien. Durch quartalsweise OKR-Zyklen können Teams in verschiedenen Ländern synchron agieren und Best Practices rapide austauschen. Das Ergebnis: kontinuierlicher Marktanteilsausbau trotz intensivem Wettbewerb.


Rainer M. Grethel: Das sind beeindruckende Beispiele von Weltkonzernen, aber funktioniert OKR auch im deutschen Mittelstand?

Herr Bobka: Absolut! Tatsächlich sehe ich im Mittelstand oft bessere OKR-Erfolge als in Großkonzernen. Warum? Kürzere Entscheidungswege, direktere Kommunikation, weniger bürokratische Hürden. Ein schwäbischer Maschinenbauer mit 150 Mitarbeitenden kann OKRs oft schneller und effektiver implementieren als ein DAX-Konzern.

Prof. Tan: Das bestätigt auch unsere Forschung. Eine interne Erhebung der EHS Erasmus Hochschule Basel aus dem Jahr 2024 zeigte: Mittelständische Unternehmen mit OKR-Implementation erreichen 23 % höhere Strategieumsetzungsraten als Vergleichsunternehmen. Der Grund: weniger Komplexität, mehr Agilität.

Herr Bobka: Ich begleite gerade einen Softwareanbieter aus München mit 80 Mitarbeitenden und 15 Mio. Umsatz. Vor OKR: 12 verschiedene Vertriebsstrategien. Jede Region hatte ihre eigene Herangehensweise. Nach OKR: Eine klare Stoßrichtung. Alle ziehen am selben Strang. Umsatzwachstum in Q1: Plus 34 %.

Rainer M. Grethel: Wow und wie startet man konkret mit OKR? Viele unserer Leser und Leserinnen fragen sich bestimmt: „Wo fange ich an?“

Prof. Tan: Der wichtigste Schritt ist das, was wir „OKR Readiness Assessment“ nennen. Nicht jede Organisation ist sofort bereit für OKR. Wir prüfen drei Dimensionen: Kulturelle Bereitschaft, strukturelle Voraussetzungen und Leadership-Commitment.

Herr Bobka: Ich empfehle immer den sogenannten „crawl-walk-run“-Ansatz von OKR-Experte Ben Lamorte. Beginnen Sie mit einem Pilotteam, einem Objective und zwei Key Results. Schaffen Sie einen Quick Win und lassen Sie den Erfolg für sich sprechen. Ein gelungenes Pilotprojekt leistet mehr Überzeugungsarbeit als tausend PowerPoint-Folien.

Prof. Tan: Entscheidend ist auch die Rolle des „OKR Champions“ bzw. „OKR Owners“. Diese Person ist der:die Architekt:in und Hüter:in des Prozesses. Im Idealfall widmet er oder sie sich zu 100 % dieser Aufgabe, zumindest in der Einführungsphase.

Herr Bobka: Was viele unterschätzen: OKR ist 80 % Change Management und 20 % Methodik. Die beste OKR-Struktur nützt nichts, wenn die Menschen nicht mitziehen. Deshalb investiere ich in meinen Trainings viel Zeit in Storytelling, Motivation und die Kommunikation des „Warum“.


Rainer M. Grethel: Sprechen wir über konkrete Erfolgsfaktoren. Was sind die Do’s und Don’ts bei der OKR-Implementierung im Vertrieb?

Herr Bobka: Do’s: Erstens: Weniger ist mehr. Maximal 2 bis 3 Objectives pro Team. Ich erlebe ständig Teams, die mit 7 Objectives starten. Das ist wie gleichzeitig zu Jonglieren, Fahrrad zu fahren und Schach zu spielen. Zweitens: Wöchentliche Check-ins sind non-negotiable. Ohne regelmäßige Abstimmung stirbt OKR den stillen Tod.

Prof. Tan: Don’ts: Niemals OKR als Bewertungsinstrument für die individuelle Performance nutzen. Das zerstört die psychologische Sicherheit, die für ambitionierte Ziele notwendig ist. OKR misst die Teamperformance und den strategischen Fortschritt, nicht die individuelle Leistung.

Herr Bobka: Ein weiteres No-Go: „Fake OKRs“. Ich sehe oft Key Results wie „Alle Vertriebsberichte sind pünktlich abzugeben“. Das ist kein Key Result, das ist eine To-Do-Liste. Key Results müssen einen strategischen Impact haben, nicht administrative Compliance messen.

Prof. Tan: Sehr wichtig ist auch: OKR ist nicht „Set and forget“. Quartalsweise Reviews und Retrospektiven sind essenziell. In der Review fragen wir: „Haben wir unsere Ziele erreicht?“ In der Retrospektive fragen wir: „Wie können wir den Prozess verbessern?“


Rainer M. Grethel: Lassen Sie uns über die praktische Formulierung sprechen: Wie entwickelt man gute Objectives und Key Results?

Prof. Tan: Ein gutes Objective erfüllt diese Kriterien: Es ist qualitativ beschrieben, positiv formuliert, emotional aufgeladen, in drei Monaten erreichbar, im Einflussbereich des Teams, verständlich und strategisch relevant. Außerdem sollte es „unbequem“ sein und Veränderung erfordern.

Herr Bobka: Ich nutze gerne die Elevator-Pitch-Regel: Können Sie Ihr Objective einem Fremden im Aufzug zwischen zwei Stockwerken erklären? Falls ja, ist es wahrscheinlich gut formuliert. Falls Sie dafür ein Whiteboard brauchen, arbeiten Sie lieber nochmal daran.

Prof. Tan: Für Key Results gilt die erweiterte SMART-Regel: Spezifisch, messbar, ambitioniert (aber erreichbar), relevant und zeitgebunden. Zusätzlich müssen sie regelmäßige „Fortschritt-Updates“ ermöglichen. „Umsatz um 15 % steigern“ ist weniger wertvoll als „Monatlicher Recurring Revenue von 100k auf 115k Euro bis Ende Q3 erhöhen“.

Herr Bobka: Mein Lieblingstrick für bessere Key Results ist der „So-what-Test“. Sie sagen: „Wir haben den Umsatz um 15% gesteigert.“ Ich frage: „So what? Was bedeutet das für die Strategie?“ Wenn Sie keine überzeugende Antwort haben, ist Ihr Key Result wahrscheinlich zu operational und nicht strategisch genug.


Rainer M. Grethel: Welche Rolle spielt Technologie bei der OKR-Umsetzung?

Herr Bobka: Technologie ist der Enabler, nicht der Treiber. Sie können OKR mit Excel-Sheets starten, aber für nachhaltige Erfolge brauchen Sie professionelle Tools. Wichtig ist: Alle Beteiligten müssen jederzeit den aktuellen Stand einsehen können. Transparenz ist das Lebenselixier von OKR.

Prof. Tan: Wir empfehlen eine dreistufige Tool-Evolution. Phase 1: Google Sheets oder Excel für erste Experimente. Phase 2: Spezialisierte OKR-Tools wie Weekdone, Perdoo oder Monday.com für eine skalierte Implementierung. Phase 3: Integration in bestehende Enterprise-Systeme für konzernweite Rollouts.

Herr Bobka: Was viele unterschätzen: Das beste Tool ist wertlos ohne die richtige Meeting-Kultur. Wöchentliche Check-ins sollten strukturiert ablaufen: 5 Minuten Status-Update, 15 Minuten Problemlösung, 10 Minuten Planung der nächsten Woche. Hier gilt das KISS-Prinzip: Keep it short and simple.

Prof. Tan: Interessant sind auch Dashboard-Lösungen mit Gamification-Elementen. Wenn Key Results als Fortschrittsbalken in einem Videospiel visualisiert werden, steigt die intrinsische Motivation signifikant. Neurowissenschaftlich aktiviert das dieselben Belohnungszentren wie erfolgreiche Spiele.


Rainer M. Grethel: Lassen Sie uns über Widerstände sprechen. Wie gehen Sie mit Skeptikerinnen und Skeptikern um?

Prof. Tan: Widerstand ist normal und oft berechtigt. Viele Mitarbeitenden haben schon zig verschiedene „revolutionäre“ Managementmethoden erlebt. Mein Ansatz: Authentizität und kleine Beweise. Ich sage nicht „OKR wird alles lösen“, sondern „Lassen Sie uns gemeinsam testen, ob OKR bei Ihren spezifischen Herausforderungen hilft“.

Herr Bobka: Ich unterscheide drei Skeptikertypen: Die „Been-there-done-that“-Veteranen, die „Das-funktioniert-nicht-in-unserem-Business“-Pessimisten und die „Keine-Zeit-für-neue-Methoden“-Gestressten. Für jeden Typ habe ich spezielle Strategien entwickelt.

Prof. Tan: Bei Veteranen helfe ich, OKR von früheren Methoden abzugrenzen. Bei Pessimisten arbeite ich mit branchenspezifischen Erfolgsbeispielen. Bei Gestressten zeige ich, wie OKR mittelfristig Zeit spart durch einen besseren Fokus und weniger Verschwendung.

Herr Bobka: Mein Geheimtipp für den „skeptischen Champion“: Ich identifiziere bewusst den größten Kritiker bzw. die größte Kritikerin im Team und mache ihn bzw. sie zum OKR-Mitgestaltenden. Nichts überzeugt ein Team mehr als die Bekehrung ihres härtesten Kritikers.


Rainer M. Grethel: Wie messen Sie den Erfolg von OKR-Implementierungen?

Prof. Tan: Wir unterscheiden zwischen Output-Metriken und Outcome-Metriken. Output: Werden OKRs formuliert? Finden Check-ins statt? Outcome: Verbessert sich die Strategieumsetzung? Steigt die Mitarbeitermotivation? Wachsen die Geschäftsergebnisse?

Herr Bobka: Meine Lieblingserfolgsmessung ist qualitativ: „Das 5-Minuten-Meeting-Phänomen“. Wenn Teams ihre wöchentlichen OKR-Check-ins von ursprünglich 60 Minuten auf 15 bis 20 Minuten verkürzen können, weil alle fokussiert und vorbereitet sind, dann funktioniert OKR.

Prof. Tan: Quantitativ nutzen wir den „OKR Maturity Index“, der aus 7 Dimensionen mit jeweils 5 Reifegraden bestehen – von Level 1 „OKR-Novize“ bis Level 5 „OKR-Virtuose“. Das hilft Organisationen, ihre Entwicklung zu messen und die nächsten Schritte zu planen.

Herr Bobka: Ein faszinierender Indikator ist auch die spontane OKR-Nutzung: Wenn Teams eigenständig OKRs für interne Projekte formulieren, ohne dazu aufgefordert zu werden, dann ist OKR wirklich kulturell verankert.


Rainer M. Grethel: Welche Trends sehen Sie für die Zukunft von OKR im Vertrieb?

Prof. Tan: Meines Erachtens gibt es drei große Trends: Erstens, „AI-enhanced OKR“ – künstliche Intelligenz hilft bei der Formulierung besserer Key Results und der Vorhersage von Zielerreichungswahrscheinlichkeiten. Zweitens, „Continuous OKR“ – kürzere Zyklen, teilweise monatlich oder sogar wöchentlich. Drittens, „Ecosystem OKR“ – unternehmensübergreifende Ziele mit Partner:innen und der Kundschaft.

Herr Bobka: Ich sehe auch den Trend zu „Purpose-driven OKR“. Die neue Generation von Mitarbeitenden will nicht nur Umsatzziele erreichen, sondern sinnvollen Impact schaffen. OKRs werden zunehmend um Nachhaltigkeits-, Diversitäts- und Social-Impact-Dimensionen erweitert.

Prof. Tan: Besonders spannend finde ich „Predictive OKR“: Machine Learning analysiert historische OKR-Daten und schlägt optimierte Zielformulierungen vor. Stellen Sie sich ein System vor, das basierend auf Teamkompetenz, Marktdynamik und historischer Performance die perfekten Key Results berechnet.

Herr Bobka: Der wichtigste Trend ist aber meiner Meinung nach die „OKR-Demokratisierung“. Was früher nur Silicon Valley-Startups und Tech-Giganten nutzten, wird heute Mainstream. Jeder Handwerksbetrieb, jede Arztpraxis und jeder Einzelhändler kann von OKR profitieren.


Rainer M. Grethel: Lassen Sie uns abschließend praktisch werden. Was sind Ihre konkreten Handlungsempfehlungen für Vertriebsleiter:innen, die heute mit OKR starten möchten?

Herr Bobka: Schritt 1: Machen Sie einen ehrlichen OKR-Readiness-Check. Fragen Sie sich: Ist unser Team bereit für Transparenz? Können wir mit „Scheitern“ umgehen? Haben wir den passgenauen Leadership-Support? Schritt 2: Starten Sie mit einem vierwöchigen Pilotprojekt. Ein Team, ein Objective, zwei Key Results. Lernen Sie die Mechaniken, bevor Sie skalieren. Schritt 3: Investieren Sie in OKR-Education. Lesen Sie „Measure What Matters“ von John Doerr, besuchen Sie Workshops, holen Sie sich externes Coaching für die kritische Startphase.

Prof. Tan: Schritt 4: Etablieren Sie sofort eine wöchentliche Check-in-Routine. Ohne regelmäßige Abstimmung stirbt OKR. Schritt 5: Feiern Sie Learnings, nicht nur Erfolge. Wenn ein OKR nicht erreicht wird, fragen Sie sich: „Was haben wir gelernt?“ statt „Wer ist schuld?“

Herr Bobka: Schritt 6: Dokumentieren Sie Ihre OKR-Journey. Führen Sie ein OKR-Tagebuch mit Erfolgen, Herausforderungen und Learnings. Das wird Ihre wertvollste Ressource für die Weiterentwicklung.

Prof. Tan: Und ganz wichtig: Haben Sie Geduld. OKR-Mastery entwickelt sich über 3 bis 4 Quartale. Der erste Zyklus wird chaotisch, der zweite holprig, der dritte funktional. Ab dem vierten Quartal entfaltet OKR seine wahre Magie.


Rainer M. Grethel: Zum Schluss: Wenn Sie einem skeptischen Vertriebsleiter bzw. einer skeptischen Vertriebsleiterin nur einen Satz sagen könnten, um ihn bzw. sie von OKR zu überzeugen, welcher wäre das?

Prof. Tan: „OKR ist wie ein GPS für Ihre Vertriebsstrategie. Sie erreichen Ihre Ziele schneller, mit weniger Umwegen und das ganze Team sieht, wo es hingeht.“

Herr Bobka: „Wenn Sie morgen früh aufwachen und Ihr gesamtes Vertriebsteam arbeitet fokussiert, motiviert und messbar an denselben strategischen Zielen, dann haben Sie OKR verstanden.“


Rainer M. Grethel: Vielen Dank für das tiefgreifende Gespräch. Wo können interessierte Leserinnen und Leser mehr über Ihre Arbeit erfahren?

Herr Bobka: Gerne können uns Interessierte auf LinkedIn kontaktieren. Wir bieten Quick-Checks zur OKR-Readiness an – ein 30-minütiges Gespräch, in dem wir analysieren, wo Ihr Vertrieb steht und welche ersten Schritte sinnvoll wären.

Prof. Tan: In Kooperation mit der Haufe Akademie bieten wir auch ein zweitägiges Seminar zur agilen Strategieumsetzung mit OKR speziell für den Vertrieb an. Das ist eine clevere Investition in die strategische Zukunftsfähigkeit Ihres Unternehmens mit höchstem Return-on-Invest (ROI).

Rainer M. Grethel: Gibt es abschließend noch einen besonderen Tipp für unsere Leserinnen und Leser?

Hr. Bobka: Ja! Beginnen Sie nicht mit der Theorie, sondern mit einer einfachen Frage: „Was ist das wichtigste Ziel unseres Vertriebsteams für die nächsten drei Monate?“ Wenn Sie diese Frage nicht in einem Satz beantworten können, brauchen Sie OKR. Wenn Sie sie beantworten können, brauchen Sie OKR, um sicherzustellen, dass alle dieselbe Antwort geben.

Prof. Tan: Und denken Sie daran: Die besten Strategien sind die, die umgesetzt werden. OKR verwandelt Strategien von abstrakten Konzepten in konkrete, messbare Aktionen. In einer Welt, in der Execution den Unterschied macht, ist das Ihr Wettbewerbsvorteil.


Tobias Bobka und Prof. David Tan sind führende Experten für agile Strategieumsetzung und bieten gemeinsam Trainings, Workshops und Beratung für Unternehmen an. Ihre praxisorientierten Ansätze haben bereits über 100 Unternehmen geholfen, ihre Vertriebsstrategien erfolgreich umzusetzen.

Die gemeinsame Mission der beiden Experten ist die Transformation von Vertriebsorganisationen zu agilen, strategieorientierten und hochperformanten Teams durch die intelligente Anwendung von OKR-Methoden und modernen Managementansätzen.

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Über den:die Autor:in

Tobias Bobka

Experte für Strategisches Management und die agile Umsetzung von Vertriebsstrategien mit OKR. Mit seinen über 20 Jahren Erfahrung in der Vertriebsoptimierung begleitet er mittelständische Unternehmen bei der digitalen und strategischen Transformation ihrer Vertriebsorganisationen. Seine pragmatischen Ansätze verbinden bewährte Vertriebsmethoden mit modernen agilen Frameworks.

Über den:die Autor:in

David Tan

David Tan gilt als „Mr. OKR“ im deutschsprachigen Raum und ist einer der führenden Lehrenden und Praktiker für Objectives & Key Results. Als Professor an der EHS Erasmus Hochschule und gefragter Unternehmensberater hat er die OKR-Implementierung in vielen Organisationen begleitet. Seine Forschungsschwerpunkte umfassen agile Strategieentwicklung, Change Management und die Psychologie der Zielerreichung.