Seit 2013 ist die Analyse der so genannten psychischen Belastung integraler und expliziter Bestandteil der Gefährdungsbeurteilung, die im Arbeitsschutzgesetz geregelt wird. Das Arbeitsschutzgesetz legt allerdings nur fest, DASS eine psychische Gefährdungsbeurteilung durchgeführt werden muss, und nicht, WIE diese durchgeführt werden sollte.
Daher fragen sich viele Arbeitgebende, wie sie die psychische Gefährdungsbeurteilung konkret umsetzen können. Dabei möchten sie sowohl die gesetzlichen Vorgaben berücksichtigen, als auch eine tatsächlich sinnvolle Analyse der psychischen Belastung zum Schutz und zur Verbesserung der Gesundheit der Mitarbeitenden durchführen. Die Vielzahl an Möglichkeiten und Methoden kann verwirrend sein und es fällt häufig schwer, die für das eigene Unternehmen optimale Methode zu finden. Zudem gibt es gerade bei Befragungen von Mitarbeiter:innen den einen oder anderen Fallstrick. Daher ist es sinnvoll, sich im Vorfeld intensiv mit dem Thema auseinanderzusetzen und alle relevanten Schritte möglichst genau zu planen. Wir möchten Ihnen in diesem Artikel einen kurzen Überblick über die psychische Gefährdungsbeurteilung, Methoden der Umsetzung und mögliche Fallstricke geben.
Die Pflicht zur Gefährdungsbeurteilung nach dem Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) ist in jüngster Zeit angesichts der zunehmenden öffentlichen Aufmerksamkeit für psychische Erkrankungen und Probleme bei der Alltags- und Stressbewältigung stärker in den Mittelpunkt des Interesses gerückt. Vor diesem Hintergrund hat der Bundestag Ende Juni 2013 eine Änderung des ArbSchG verabschiedet, mit der klargestellt werden soll, dass auch psychische Belastungsfaktoren bei der Arbeit im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung zu erfassen sind.
Bei der psychischen Gefährdungsbeurteilung werden psychische Belastungen und die sich daraus ergebenden psychischen Beanspruchungen erfasst (IST-Situation) und analysiert.
Unter psychischer Belastung wird „die Gesamtheit aller erfassbaren Einflüsse, die von außen auf den Menschen zukommen und psychisch auf ihn einwirken” verstanden. Der Begriff „Belastung” ist hier zunächst wertneutral zu verstehen. Es können positive oder negative Folgen auftreten. (Quelle: ISO 10075-1 von Nov. 2000)
Psychische Beanspruchung ist definiert als „die unmittelbare (nicht die langfristige) Auswirkung der psychischen Belastung im Individuum in Abhängigkeit von seinen jeweiligen überdauernden und augenblicklichen Voraussetzungen, einschließlich der individuellen Bewältigungsstrategien”. (Quelle: ISO 10075-1 von Nov. 2000)
Anschließend werden Maßnahmen und Lösungen zur Beseitigung der Fehlbeanspruchungen geplant und implementiert. Daraufhin ist wieder zu überprüfen, ob durch die Maßnahmen die psychischen Fehlbeanspruchungen reduziert wurden oder ob eine weitere Anpassung notwendig ist. Die psychische Gefährdungsbeurteilung ist insofern als kontinuierlicher Prozess zu verstehen.
Doch wie kann diese Analyse der psychischen Belastungen und Beanspruchungen, die Umsetzung von Maßnahmen und die erneute Evaluation der Situation konkret umgesetzt werden?
Es gibt einige Tools, die bei der Durchführung einer psychischen Gefährdungsbeurteilung helfen. Dabei können Beobachtungsinterviews, moderierte Analyseworkshops und Befragung der Mitarbeitenden unterschieden werden.
- Beobachtung/Beobachtungsinterviews: Fachkundige Personen ermitteln die psychische Belastung bei der Arbeit anhand von Beobachtungen der jeweiligen Tätigkeit, in der Regel ergänzt um (Kurz-)Interviews mit den dort Beschäftigten zu Merkmalen ihrer Arbeit.
- Standardisierte schriftliche Befragung der Mitarbeitenden: Zur Ermittlung der psychischen Belastung bei der Arbeit werden die Einschätzungen der Beschäftigten mit einem standardisierten Fragebogen erfasst.
- Moderierte Analyseworkshops: Die psychische Belastung bei der Arbeit wird in einem moderierten Workshop bestimmt und beschrieben, unter Bezugnahme sowohl auf das Erfahrungswissen der Beschäftigten und Führungskräfte als auch auf das Fachwissen von Expertinnen und Experten.
Beobachtungsinterviews erfordern Fachwissen der jeweiligen Beobachter:innen und können in der Regel nicht von Mitarbeitenden des betroffenen Unternehmens durchgeführt werden. Der Zeit- und Personalaufwand ist in der Regel als hoch einzustufen.
Moderierte Analyseworkshops sind insofern vorteilhaft, als dass sowohl Mitarbeiter:innen als auch Führungskräfte Probleme analysieren und gemeinsam Lösungen finden können. Insgesamt kommen dadurch nicht nur Belastungen aufgrund der Tätigkeit oder des Umfeldes an sich ans Licht, sondern auch teambezogene Probleme, die diskutiert und angegangen werden können. Ohne vorherige gut durchdachte und schriftlich festgehaltene Analyse der Situation, zum Beispiel in Form einer Befragung der Mitarbeitenden, fällt ein solcher Analyseworkshop allerdings deutlich schwerer. Er birgt die Gefahr, dass relevante und teilweise delikate Themen wie zum Beispiel Mobbing, Führungsqualität, Teamzusammenhalt oder Kulturthemen nicht angesprochen werden – sei es aus Angst der Mitarbeiter vor negativen Konsequenzen oder weil andere Themen zu dominant sind.
Befragungen von Mitarbeitenden haben den Vorteil, dass sie Zeit- und kosteneffizient eingesetzt werden können, ein detailliertes Bild liefern und vergleichsweise einfach durchgeführt werden können. Sie bieten die Möglichkeit, den Status Quo in Hinblick auf zahlreiche wichtige Faktoren auszuwerten, und sie können auf Bereiche, Abteilungen oder Teams herunter gebrochen werden. Des Weiteren werden sie anonym durchgeführt, was in der Regel die Antwortbereitschaft von Mitarbeiter:innen und die Wahrscheinlichkeit von ehrlichen Antworten erhöht. Mögliche Befragungsinstrumente sind beispielsweise der COPSOQ (Copenhagen Psychosocial Questionnaire) und der WAI (Work Ability Index).
Wichtig ist, dass die Ergebnisse der Interviews, Analyseworkshops oder Befragungen nicht in der Schublade landen, sondern Ausgangspunkt für punktgenaue Interventionen sind. Hierfür ist ein gut durchdachter und geplanter Prozess vonnöten, der zudem dokumentiert werden muss.
Hilfreich ist, wenn die psychische Gefährdungsbeurteilung im Rahmen eines betrieblichen Gesundheitsmanagements durchgeführt wird, da somit Synergie-Effekte entstehen.
Wir schlagen für die Durchführung der psychischen Gefährdungsbeurteilung eine Kombination aus Befragung von Mitarbeitenden und Analyseworkshop vor:
- Strategischer Planungsworkshop
- Erste Befragung von Mitarbeitenden
- Auswertungsworkshop für die Ergebnisse auf Gesamt-Unternehmensebene
- Auswertung der Ergebnisse auf Abteilungsebene
- Durchführung von Transferworkshops (mit Führungskräften) bzw. von Teamworkshops (Vorstellung der Befragungsergebnisse, Identifikation von Ursachen, Lösungen finden)
- Durchführung, Monitoring und Dokumentation der Maßnahmen
- Zweite Gesundheitsbefragung
Dieses Vorgehen erfüllt nicht nur die gesetzlichen Vorgaben zur psychischen Gefährdungsbeurteilung, sondern führt auch dazu, dass sich im Unternehmen spürbar etwas verändert. Wir wollen, dass Ergebnisse einer Befragung zu einer Verbesserung des Verhaltens und der Verhältnisse beitragen, dass die psychische Gefährdungsbeurteilung nicht als „notwendiges Übel” angesehen wird, sondern als Chance, eine positive Veränderung anzustoßen.
Die Psychische Gefährdungsbeurteilung kann zwar von Mitarbeiter:innen der Personalabteilung geplant und durchgeführt werden, erfordert aber in der Regel einen sehr hohen Zeitaufwand, sowie weitreichende Kenntnisse in der statistischen Datenanalyse, der Aufbereitung von Ergebnissen, der Durchführung von Befragungen oder Beobachtungsinterviews, der Moderation von Workshops und der Prozesssteuerung des Gesamt-Projektes. Diese Kenntnisse sind in der Regel bei Psychologen mit einem Schwerpunkt auf Arbeits- und Organisationspsychologie anzutreffen. Wir empfehlen daher, sich bei der Durchführung der psychischen Gefährdungsbeurteilung von externen Dienstleistern unterstützten zu lassen. Optimal ist die Einbindung in einen BGM-Prozess.