Was ist Performance Support? Im Gespräch mit Bob Mosher

Veröffentlicht am
11.3.2020
von
Katrin Evers

Was gestern noch galt, kann morgen schon veraltet sein. In Zeiten der Digitalisierung steigt der Weiterbildungsbedarf immens. Häufig reagieren Personalentwickler darauf mit klassischen Qualifizierungsmaßnahmen. Die Erfahrung zeigt jedoch: Formales Lernen macht nur einen Teil des Lernerfolgs aus. Geht es um Wissenserwerb in der Praxis, schlägt die Stunde des informellen Lernens. Eine Möglichkeit, das informelle Lernen zu unterstützen, ist Performance Support (PS). Doch worum geht es bei Performance Support genau und wie können sowohl Mitarbeiter als auch Unternehmen davon profitieren?

Was ist Performance Support?

Performance Support ist eine Form der Unterstützung im Lernprozess. Einer der führenden Performance Support Experten ist der amerikanische Lern-Pionier Bob Mosher. Er definiert Performance Support als eine Reihe von Maßnahmen, die bei Bedarf Informationen, Anleitungen, Arbeitshilfen, Trainings und Werkzeuge bereitstellen. Sie ermöglichen Mitarbeitern, eine hohe Arbeitsleistung mit einem Minimum an Unterstützung durch andere Menschen. Das Besondere am Performance Support: Der Lernende soll in der Lage sein, gleichzeitig zu lernen und weiter zu arbeiten. Idealerweise findet so das Lernen im Workflow statt.

„Lernen soll im Workflow stattfinden.“  

Der „Moment of Need”: Wissen dann, wenn es gebraucht wird

Wie viel von dem, was Sie am Wochenende in der Zeitung gelesen haben, wissen Sie noch? Und auf wie viel von Ihrem Schul-Französisch können Sie noch zurückgreifen?

Wahrscheinlich nur noch einen Bruchteil. Das ist ganz normal, denn Gelerntes wird vergessen – wenn wir nichts dagegen tun. Der Psychologe und Wissenschaftler Hermann Ebbinghaus beschrieb dieses Phänomen mit der Vergessenskurve: Menschen vergessen neu Gelerntes nach einem Tag bereits zu zwei Dritteln.

Bis zum Zeitpunkt der Anwendung (=“Moment of Need“) ist die Wirkung einer Schulung bereits teilweise verblasst.

Bei klassischen Schulungen wird das zum Problem: Lernen und Anwendung liegen häufig weit auseinander. Bis zum Zeitpunkt der Anwendung (= „Moment of Need“) ist die Wirkung einer Schulung bereits teilweise verblasst.

Performance Support macht Wissen verfügbar

Performance Support soll diese Lücke schließen, indem den Lernenden direkte Unterstützung im Arbeitsprozess zur Verfügung steht. Lernen und Anwenden werden durch Performance Support enger verzahnt und der Praxistransfer damit sichergestellt.  

Bob Mosher erklärt im Interview mit der Haufe Akademie, wie erfolgreiches Workflow Learning für ihn aussieht, wie Unternehmen von Performance Support profitieren und was das Ganze mit Football zu tun hat.  

Herr Mosher, warum sollten Organisationen jetzt in Performance Support investieren?

Mosher: Als ich vor 30 Jahren in dieses Business kam, konnten die Menschen etwas lernen und es dann für lange Zeit anwenden. Die Kursbücher standen hinter ihnen im Regal. Heute ändert sich die Welt so schnell, dass wir mit Training nicht mehr hinterherkommen. Die Lerner gehen in der Flut der Informationen über die Veränderungen fast unter, wenn sie versuchen, auf dem Laufenden zu bleiben. Gleichzeitig sollen sie auch noch ihren Job machen. Performance Support hilft ihnen, weil damit das Wissen im Workflow zur Verfügung gestellt wird. Der Lernende erfährt, was er tun muss, muss seine Arbeit nicht unterbrechen und kann weiter seinen Job machen.

„Heute ändert sich die Welt so schnell, dass wir mit einfachem Training nicht mehr hinterherkommen.“

Performance Support schafft höhere Produktivität

Wie profitieren Unternehmen vom Performance Support und wie profitieren die Lernenden?

Mosher: Beim Performance Support verlagert sich der Schwerpunkt vom Training auf die Leistungsunterstützung. Alles was wir tun, sollte dazu führen, dass die Lerner in ihrem Job eine bessere Leistung bringen können und sich immer weiter verbessern. Der größte Vorteil von Performance Support ist die direkte Wirkung auf die Fähigkeit der Lernenden, Leistung zu bringen und das gelernte umzusetzen. Das fürht direkt und auf einem kürzeren Weg zu einer Verbesserung des Arbeitsergebnis. Die Time to competence wird kürzer. Die Menschen sind schneller schlau und kompetent, so können sie eine hohe Arbeitsleistung mit einem Minimum an Unterstützung durch ihre Kollegen erbringen. Performance Support unterstützt sie dabei, indem Informationen und Hilfestellungen im Moment des Bedarfs zur Verfügung gestellt werden – kontextbezogen und schnell.  

A Test Picture
A Test Picture
A Test Picture

Performance Support in der Praxis – ein Konzept mit vielen Gesichtern

Performance Support ist keine bestimmte Lernform. Vielmehr geht es dabei um das Konzept, Hilfestellung nahtlos in den Arbeitsprozess zu integrieren und damit Lernprozesse zu unterstützen. Das kann in der Praxis auf sehr verschiedene Weise umgesetzt werden: Vom Notizzettel über Checklisten bis zum ausgewachsenen Softwaresystem.

Herr Mosher, können Sie uns ein praktisches Beispiel für Performance Support geben?

Mosher: Wenn ein Football-Profi, ein Quarterback, in einer Spielunterbrechung auf sein Armband sieht, um dann anschließend mit vielen verschlüsselten Zeichen seine Mannschaft auf dem Spielfeld neu zu positionieren, hat er Performance Support genutzt. Denn das Armband hat eine Art integriertes Notizbuch, in dem die einzelnen Spielzüge, mit denen die Mannschaft auf Aktionen des Gegners reagiert, notiert sind. Der Quarterback hat viele Spielzüge im Training gelernt und geübt. Im Spiel muss er aber sehr schnell sein. Da ist eine bei Bedarf schnell zugängliche Hilfe gefragt, die sofort eine Lösung anbietet. Nur dann kann sich der Quarterback ganz darauf konzentrieren, im Spiel 100 Prozent Leistung zu bringen.

Welche Werkzeuge schlagen Sie für Unternehmen vor?

Mosher: EPSS (Electronic Performance Support Systems) und adaptives Lernen sind das E-Learning dieser Zeit. Dafür gibt es heute viele Anbieter. Wenn die Menschen dagegen von Learning Management Systemen sprechen und wie sich formales Lernen digitalisieren lässt, heißt unsere Antwort: E-Learning in Form von Webinaren oder Kursen.

In einer Performance Support Infrastruktur gibt es drei Lernphasen: Training, Transfer und Nachhaltigkeit. In welcher Lernphase kommt Performance Support zum Einsatz?

Mosher: Es sollte im Training eingeführt werden. Wenn der Lerner das Training verlässt, ist er oft überwältigt von all dem, was er gelernt hat. Jetzt kommt die Transfer-Phase bei der Arbeit. Das ist der Sweet-Spot für Performance Support. Performance Support ist die Brücke vom Training zur Anwendung, weil die Lernenden einen Trigger brauchen und kontextualisieren müssen, was sie gelernt haben. Performance Support ermöglicht die Lernreise vom Training zur Anwendung des Gelernten und führt so zu nachhaltigem Wissen.

„Performance Support ist die Brücke vom Training zur Anwendung.“

Ersetzt Performance Support Seminare?

Insgesamt spricht man von fünf verschiedenen Moments of Need, in denen Menschen Wissensbedarf entwickeln.  

  1. Wenn etwas neu gelernt wird (New).
  1. Wenn man mehr dazulernen will (More).
  1. Wenn man Gelerntes anwenden muss (Apply).
  1. Wenn sich etwas ändert (Change).
  1. Wenn etwas schiefgeht (Solve).

Für die ersten beiden Punkte sind klassische Seminare geeignet, in den anderen Fällen sind wir auf informelles Lernen angewiesen und profitieren vom kontextsensitiven Performance Support.  

Wird Training mit Performance Support überflüssig?

Mosher: Es geht nicht um Performance Support statt Training. Es geht darum, Lernende zu befähigen. Beim Training ging es immer um ein Event. Etwas, dass ich terminieren kann, für das ich die Arbeit verlasse und das ich konsumiere. Performance Support dagegen ist eingebettet in die Arbeit. Das kann der Lerner im Kontext der Arbeit machen. Ich denke nicht, dass es Training ersetzt. Vielmehr ermöglicht Performance Support Training oder umgekehrt, Training Performance Support. Performance Support ermöglicht Lernenden, ihre Arbeit tun zu können. Darauf aufbauend können wir mit Training etwas betonen oder vertiefen, wo es angemessen ist.  

Formelles Lernen wird durch Performance Support keinesfalls überflüssig. Es wird sinnvoll ergänzt und in der Praxis weitergeführt. Das beeinflusst den Lernerfolg sowie das Arbeitsergebnis direkt positiv. Mit Performance Support wird formales „Wissen“ zu praktischem „Können“.

Fazit: Performance Support ist der Mörtel zwischen den Personalentwicklungs-Bausteinen

Klassische Qualifizierungsmaßnahmen legen den Grundstein für das im Unternehmen benötigte Wissen. Performance Support geht an der Stelle weiter, an der diese aufhören. Durch die Ergänzung mit Performance Support endet der Wissenserwerb nicht mit dem Besuch eines Seminars. Stattdessen wird Lernen informell mit ergänzenden Methoden und Tools am Arbeitsplatz fortgesetzt. So steigt die Qualität der Arbeit, während gleichzeitig die Zeit für Nachfragen oder Suchen verringert wird.

Bob Mosher ist CEO und Chief Learning Evangelist bei Apply Synergies und war zuvor einige Jahre Director of Learning Strategy bei Microsoft. Er ist seit über 30 Jahren im Bereich Learning and Development tätig und weltweit für seine Vorreiterrolle bei neuen Lernansätzen bekannt.

Mosher ist Co-autor des Buchs Innovative Performance Support: Strategies and Practices for Learning in the Workflow.

Katrin Evers
Katrin Evers

Katrin Evers ist Diplom-Betriebswirtin und Contentmanagerin für den Bereich Unternehmenslösungen bei der Haufe Akademie.

Weitere Themen
Webinar
Richtiges Lernen ist selbstgesteuert

Erfahren Sie in unserem kostenlosen Webinar mehr über die intelligente Learning Expierence von Haufe: Die Plattform verbindet alle MitarbeiterInnen zeit- und ortsunabhängig mit den verschiedensten Inhalten aus den bestehenden Lernsystemen Ihres Unternehmens.

Anmelden
analoge armbanduhr an maennlichem handgelenk zeigt die zeit
Beitrag
Was ist Social Learning?

Lernen ist von Grund auf sozial: Der Mensch lernt von klein auf, indem er sich etwas bei anderen abschaut und Verhaltensweisen imitiert. Social Learning ist also kein neues Konzept. Allerdings erfährt es im Unternehmenskontext aktuell starke Aufmerksamkeit.

Weiterlesen
analoge armbanduhr an maennlichem handgelenk zeigt die zeit
Beitrag
Aktivieren Sie Ihr Selbstlernsystem

Verteiltes Arbeiten im Homeoffice, 100%-Online-Meetings und permanente virtuelle Kollaboration sind nicht mehr Vision, sondern wurden in kürzester Zeit zum neuen Standard. Die „Zwangsdigitalisierung“ trifft unvorbereitete Unternehmen hart. Zeit über Experimente nachzudenken.

Weiterlesen
Weitere Themen